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Absichtserklärung

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Die Balinesen haben's gut. Die Balinesen kennen keine Jahreszeiten. Die Balinesen kennen daher kein Neujahr. Wenn man einen Balinesen fragt, wie alt er ist, weiß er's nicht oder er sagt einem eine Phantasiezahl. Hundert Jahre etwa. Dabei liegt es ihm fern zu schwindeln oder anzugeben. Bei der Zahl hundert hat er vielleicht die Anzahl seiner erlebten Reisernten ins Treffen geführt. Und würde Beis bei uns wachsen, könnte das mit der Zahl der Jahre leicht identisch sein, denn zwei, drei oder gar vier Ernten kämen in unseren Breiten nicht in Frage, über den Sprößlingen der zweiten Saat würde bereits der Schnee rieseln.

Schnee rieselt aber in Bali nicht. Abgesehen von zeitweiligen Begenfällen lacht die Sonne ständig sommerlich vom Himmel. Die Balinesen brauchen also keinen Wintermantel. Und kein Frostschutzmittel im Kühler. Sie haben's gut, ich sagte es schon.

Aber ich wollte ja vom Neujahr reden. Das nämlich ist der größte Vorteil der Balinesen, daß sie keines haben. Was mich leicht dazu verführen könnte auszuwandern. Und Balinese zu werden. Zu Neujahr kommt nämlich Tante Trude zu Besuch. Sie tut es seit Jahren regelmäßig. Ich erspare Ihnen, Tante Trude näher vorzustellen. Allein daß sie Tante Trude heißt und regelmäßig zu Neujahr auf Besuch kommt, muß reichen.

Aber wär's nur der Besuch von Tante Trude, ich käme nie auf den Gedanken, die Balinesen zu beneiden.

Da sind noch vor dem Jahreswechsel die Glückwunschbillets. Die, die ich bekomme, und die, die ich zuschreiben habe. Einmal habe ich versucht, das Problem mit einem kleinen Zeitungsinserat zu lösen, in dem ich darauf hinwies, daß in diesem Jahr von mir weder Glückwunsch- noch Dan-kesbillets hinausgingen, und daß der Beinerlös für diesen Verzicht einem wohltätigen Zweck zukomme. Der Erfolg war, daß alle, die das Inserat lasen, mich auf der Stelle anriefen und fragten, um welch einen wohltätigen Zweck es sich denn handle. Als ich wahrheitsgetreu antwortete, ich würde mir selber mit der gewonnenen Zeit und dem gesparten Geld wohltun, waren sie böse. Natürlich schrieb ich sofort Entschuldigungsbillets. Und im Jahr drauf wieder Glückwunschbillets, alle um eine Nummer teurer, Strafe muß sein.

Auch der Hausbesorger ist zu bedenken. Die Müllabfuhr, der Rauch-fangkehrer, der Kanalräumer, alles Menschen, denen ich zwar das ganze Jahr über nie begegne, die aber, wie schon ihr Name sagt, meinen Mist wegräumen. Sie klopfen zu Neujahr, wünschen alles Gute und halten die Hand auf. In Bali wünscht kein Mensch dem anderen alles Gute, trotzdem sind die Balinesen weitaus freundlicher als die Leute hierorts. Und die Hände halten sie auch nur auf, wenn ihnen der Himmel Begen schickt

Es sind da auch noch die Steuererklärungen, die per Neujahr zu erstellen sind, die Bankgebühren, die per Neujahr verrechnet werden, die Marzipanschweine, Fische und Schwammerln, die erst einmal wieder aus dem Magen herausmüssen, auf welchem Wege auch immer, der Hund und die Wellensittiche, denen angesichts des Silve-sterböllerns der Nachbarn ermutigender Zuspruch gebührt, und die Sektflaschen, Heringbecher und Geschenkpapiere, die aufgeräumt und umweltfreundlich entsorgt werden müssen.

Kein vernünftiger Balinese schlägt sich am 1. Jänner mit derlei herum. Da ist allerdings auch noch das Neujahrskonzert. Im Fernsehen und im Badio natürlich, denn Karten zu bekommen versuche ich angesichts der entmutigenden Prognosen meiner Freunde erst gar nicht. Und obwohl in den letzten Jahren mißverständlicherweise das Saalpublikum schon bei den ersten und nicht erst bei den letzten Takten mitklatscht, kommt da alljährlich ein unglaublicher Patriotismus in mir auf. Fragen Sie mich nicht, welch rationaler Grund damit verbunden ist, es ist einfach so.

Andrerseits: Fernsehen kann ich in Bali ja auch, das Neujahrskonzert wird bestimmt auch nach Bali übertragen. Wie gesagt, die Balinesen haben's gut.

Ich wandere aus," jetzt steht's fest. Schließlich geht aus Bali jeden Tag ein Flugzeug nach Wien.

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