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Digital In Arbeit

Alle Bräuche dieser Welt

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In Hongkong sind die Steuern ganz niedrig. Und die Stadt kennt keine Wirtschaftsprobleme. In Rali gibt es landauf, landab jeden Tag jede Menge Feiern. Und niemand regt sich deshalb auf. In Malawi tritt im Durchschnitt alle zehn Minuten ein vom Scheitel bis zur Sohle unbekleideter Jüngling aus dem Rusch. Und keine und keiner fällt deswegen in Ohnmacht.

In New Jersey gibt es 217 eingetragene Frauenvereine. Und kein einziger Mann hat deshalb noch an einer Demo teilgenommen, die seinen Zutritt in diese Zirkel fordert..

Pardon, das sind keine selbstgebastelten Ronmots, es sind Feststellungen meines Neffen. Er ist zwölf und interessiert sich sehr für die Gebräuche dieser Welt. Übrigens setzt er seine Gedanken und Reobachtungen auch um.

Er meint, daß wir uns hierzulande doch so viel auf unsere multikulturelle Gesinnung einbilden. Daß aber keiner (er sagt: kein Schwein, aber so weit geht meine urhebergetreue Wiedergabe ja doch nicht, daß ich diese allzu saloppe Redensart in meine Erzählung einfließen lasse), keiner also denkt hier daran, in so wichtigen Fragen über die Grenzen zu schauen.

■ Also etwa die Steuern zu senken.

■Also etwa den Sonntagsdebatten Taten folgen zu lassen.

■ Also etwa die falsche Prüderie zu entsorgen.

■Also etwa die Wiener Philharmoniker tun zu lassen, was sie wirklich wol -len.

Man muß meinen zwölfjährigen Neffen verstehen. Er legt da völlig kritiklos Traditionen blank, reißt sie aus ihrem Zusammenhang und zieht untaugliche Schlüsse.

Was etwa wären unsere Steuerberater, unsere Finanzbeamten und überhaupt die ganze Himmelpfortgasse ohne unsere in Jahrzehnten liebgewordenen Abgaben.

Es könnte ja jeder kommen und die Abschaffung dieser Traditionen fordern, bei jenen, die Arbeit geben und jenen, die Arbeit nehmen - hat schon jemand diese vertrottelte Ausdrucksweise hinterfragt, wieso nehme ich mir denn die Arbeit, ich mache sie, oder etwa nicht? Erleichterung und Aufblühen in jeder Form erwarten und in der Tat erleben und somit eine Umwälzung auf dem Gebiet unseres Fiskus bewirken.

Was, so frage ich weiter, wären die im Land angemeldeten und erlaubten Religionsgemeinschaften, wollten sie die bei den Ralinesen in Fleisch und Blut übergegangene Religiosität auch bei uns zulassen, spontane Feiern erlauben und die zum Überdruß zitierte Familie dadurch lebendig an einem Tisch sitzen lassen?

Was auch wären eben diese Vereine, wollten sie die Körperfeindlichkeit abschaffen, Natürliches natürlich sein lassen und den selberernannten Moralaposteln (gibt es eine legitime weibliche Form des Apostels?, hier fehlt sie mir) den Job rauben?

Die deckungsgleiche Frage zu den Philharmonikern lasse ich bleiben. Seit ich weiß, daß sie im Vertrag mit dem ORF eine Klausel drinhaben, die den Harfenspieler nur partiell, nämlich an Hand seiner Hände, ins Rild bringen darf, interessiert mich die Frage nach weiblichen Fußballspielern in der Nationalmannschaft, He-bämmerichen und Klomännern nur noch am Rande.

Ja, aber das alles ist natürlich für meinen Neffen, diesen unbeleckten Knaben, irrelevant.

Er fragt drauflos, ungeachtet der Katastrophe, die seinen naiven Forderungen entsprängen. Man muß ihn jedoch, ich sagte es schon, verstehen.

Den kleinen Schritt allerdings, der laut Plato vom Verstehen zum Gleich -tun ist, verhindert unsere Gesinnung. So multikulturell ist sie nämlich, wenn's drauf ankommt, nicht. Aber sagen sie das einem Zwölfjährigen.

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