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Allgegenwart des Todes

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MEMENTO MORI. Roman. Von Muriel Spark. Aus dem Englischen übersetzt von Peter Naujack. Diogenes-Verlag, Zürich 1960. 321 Seiten. Preis 15 DM.

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MEMENTO MORI. Roman. Von Muriel Spark. Aus dem Englischen übersetzt von Peter Naujack. Diogenes-Verlag, Zürich 1960. 321 Seiten. Preis 15 DM.

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Das brillant geschriebene und ausgezeichnet ins Deutsche übertragene Buch der Schottin Muriel Spark ist allein schon vom Thema her ein Wagnis in einer Zeit, die den Menschen nach seiner Verwendbarkeit, nach seinen Fähigkeiten des „Funktionierens“ zu betrachten und einzustufen pflegt. Der alte Mensch muß bei solcher Sicht zwangsläufig unwichtig und uninteressant erscheinen, da er, vom Standpunkt der Nützlichkeit gesehen, keine Pluspunkte aufzuweisen hat. Muriel Spark nun beschäftigt sich in ihrem großartigen Roman „Memento Mori" ausschließlich mit der Phase des Greisen- alters, seinen Ängsten und seiner Hilflosigkeit, seiner Isolierung und Einsamkeit, seinen Schwächen, Wunderlichkeiten und Abwegigkeiten, kurz seinen physischen und geistigen Verfallserscheinungen. Und nicht zuletzt auch mit dem paradoxen Lebenswillen alter Menschen, ihrem Sichaufbäumen gegen den nahen jTqd. Keipe dgr durchaus alltäglichen und “¿ocji so faszinierenden Figuren des Buphes ist unter ‘siebzig) die’ meisten . sind viel älter Keine ihrer seltsamen Reaktionen und Lächerlichkeiten wird unterschlagen, und doch gelingt es Muriel Spark, wie ein deutscher Kritiker feststellt: „im absinkenden Leben noch einmal dessen ganze Fülle zusammenzuraffen und ihren kranken, wunderlichen, zuweilen auch boshaften Helden die volle Legitimität des Menschlichen zu geben“. Im Mittelpunkt des Buches steht die Auseinandersetzung mit dem Tod, der diesen alten Leuten so nahe ist und den sie doch aus ihren Gedanken zu verdrängen suchen. Fast alle von ihnen werden von einem anonymen Telephonanrufer an ihr bevorstehendes Ende erinnert: „Denken Sie daran, daß Sie sterben müssen“, sagt die geheimnis

volle Stimme, die jedem der Betroffenen anders klingt. Sie wehren sich gegen den Störenfried ihrer Ruhe, organisieren die Polizei, weil sie glauben, eine Bande stecke hinter dem Unfug, und sie übersehen, „daß der Urheber der anonymen Anrufe der Tod selber ist“, wie Jean Taylor erkennt, die einzige, die von dem Schreckgespenst unbehelligt bleibt, da sie dem

Gedanken an den Tod nicht ausweicht. „Wenn Sie sich nicht an den Tod erinnern, erinnert der Tod Sie an sich “, stellt sie hintergründig und tiefsinnig fest.

Muriel Sparks Buch ist von der gesamten englischen Literaturkritik mit viel Lob und Begeisterung aufgenommen worden, sowohl wegen seines menschlichen Gehalts als auch seines künstlerischen Niveaus. Für eine Zeit, die sich so sehr an das doch vergängliche Leben klammert und die das Alter in Mißkredit gebracht hat, enthält es die gewichtige Botschaft von der Allgegenwärtigkeit des Todes, der seine Schreckhaftigkeit nur dann verliert, wenn wir ihm den Platz in unserem Dasein einräumen, der ihm zukommt.

„Wenn ich mein Leben noch einmal anfangen könnte, würde ich es mir von vornherein zur Gewohnheit machen, jeden Abend an den Tod zu denken. Ich würde es regelrecht üben, mich an den Tod zu erinnern. Es gibt keine andere Gewohnheit, die einen das Leben so intensiv erleben läßt. Wenn der Tod eines Tages an uns herantritt, sollte er uns nicht überraschen. Er sollte ein Teil der bewußten Lebenserwartung sein. Ohne ein immer gegenwärtiges Spüren der Todesnähe ist das Leben fade. Genau so gut könnte man sich nur von Eiweiß ernähren “, stellt der alte Polizeiinspektor Mortimer fest. Das ist eine simple Wahrheit, die leider immer mehr in Vergessenheit gerät, und an die erinnert zu werden uns nottut. Da Muriel Spark — bei allen makabren Details ihrer Geschichte — sie mit kurzweiligen und heiteren Zügen versieht, ist ihr Buch auch für Leser interessant, denen ihre Gedankengänge von Haus aus fernliegen. Vielen wird es ein Labsal bedeuten, ein gültiges Gegengewicht gegen die heute geläufige, moderne, im Grunde so banale Verherrlichung der Jugend, nur weil sie jung ist.

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