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Weisheit des Herzens

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Wer Muriel Sparks ungemein interessanten Roman „Memento mori“ gelesen hat, wird hocherfreut sein, daß der Diogenes-Verlag nun auch weitere Werke der durch ihre geschliffene Erzählkunst, ihre originellen Einfälle und Einsichten faszinierenden Schottin in deutscher Übersetzung herausbringt. Zunächst erschienen die beiden letzten Romane „Die Ballade von Peckham Rye“ und „Junggesellen“, die bei englischen Kritikern einmütig Lob und Begeisterung ernteten, gleichermaßen wegen ihres künstlerischen Niveaus und ihres menschlichen Gehalts. Wir finden hier wieder das für Muriel Spark typische Nebeneinander von Ernst und Ironie, von teils makabren, teils heiter-skurrilen Details, das, ebenso wie ihre prägnanten Charakteranalysen und das unvergleichliche Einfangen der jeweiligen Atmosphäre, ihre Leser in Bann zieht. Mehr noch zählt das innere Engagement der Autorin gegenüber den Irrungen und Wirrungen ihrer Gestalten und eine Heiterkeit des Herzens, die Licht ausstrahlt in eine manchmal recht düstere Welt.

„Die Ballade von Peckham Rye“ spielt in der Welt kleiner Leute, in den Mietwohnungen, Büros und Vorstadtlokalen eines Londoner Arbeiterbezirks. Wie das schon beginnt! Da wird ein junger Mann vorgestellt, der vor wenigen Wochen vom Traualtar ausgerissen war und nun seine ehemalige Braut besuchen möchte. Zum Schluß erfahren wir dann, daß die beiden zwei Monate später doch noch heiraten, nun mit festerem Boden unter den Füßen für das Gelingen eines gemeinsamen Lebens. Zwischen den beiden Ereignissen konzentriert sich die Handlung um das schwarze Schaf Dougal Douglas, einen jungen Mann, der sich nach außen hin recht abgebrüht und zynisch gibt, der alle an der Nase herum und gerade damit ein wenig näher zu sich selbst führt. Überall, wo er auftaucht, kommt die geheime Unordnung hinter der glatten Fassade ans Tageslicht, was ihm natürlich Feindschaften und schließlich sogar einen Anschlag auf sein Leben einträgt. So bricht er auf zu neuen Abenteuern, um auch weiterhin mit der eigenen Unrast eine unbequeme aber heilsame Unruhe in seine jeweilige Umwelt zu bringen.

In ihrem letzten Buch nimmt Muriel Spark die Londoner Junggesellen, männliche und weibliche, unter die Lupe. Es gibt da sehr verschiedene Typen: hilflose, nach Anhänglichkeit hungernde, überempfindliche und frauenhungrige Männer. Aber eines ist allen diesen Herren gemeinsam: die Scheu, verpflichtende Bindungen und Verantwortung auf sich zu nehmen, ohne die eine Ehe undenkbar ist. Die auftretenden Frauen reagieren etwas anders. Auch sie haben ihren „Knax“, genau wie die Männer. Aber etwa Elsie und Alice, die weiblichen Hauptgestalten, haben sich doch einen natürlichen fraulichen und mütterlichen Instinkt bewahrt. Sie suchen im Grunde die echte Bindung an Mann und Kind.

Zwei Männer stehen im Mittelpunkt der Handlung, der Epileptiker Ronald Brid-ges, der als einziger sein durch die Krankheit bedingtes Schicksal annimmt und zu meistern versucht, und Patrick Seaton. ein Spiritist, der seine medialen Fähigkeiten zu allerlei Betrügereien ausnutzt und in einen Prozeß verwickelt wird, in dem die übrigen Personen auf die eine oder andere Weise ihre Rolle spielen. Großartig, wie hier Sein und Schein miteinander konfrontiert werden und sich allmählich die Wahrheit herausschält. Eine ziemlich eisige Wahrheit! „Unfruchtbare Seelen, morscher Zunder...“ faßt es Ronald Bridges am Ende zusammen. Und doch gelingt es der Autorin, alle diese seelisch verkrüppelten, kauzigen und zuweilen auch bösen Existenzen als arme Menschen zu zeichnen, die unser Mitleid herausfordern. Die brillante Titelzeichnung mit den fünf einsamen Hüten auf ihren Ständern fängt sehr viel von der Atmosphäre des Buches ein, ist ein Spiegel dieser Junggesellenwelt mit ihrer versponnenen Isoliertheit.

In dem Roman „Die Lehrerin“ erzählt die Autorin von der „Blütezeit“ and dem Scheitern der Miss Jean Brodie. Auch sie ist eine von den Außenseitern, die Muriel Spark ins Herz geschlossen hat, eine Rebellin, die mit ihren umstürzlerischen Erziehungsmethoden Unruhe und Aufruhr in die altmodisch« Marcia-Blaine-Schule von Edinburgh bringt. Ihr Ziel ist, einige intelligente Schülerinnen, die sich in der Brodie-Clique zusammenfinden, zu einer wahren inneren Berufung zu' führen und sie zum Einsatz für die echten Werte des Lebens, Liebe, Güte, Wahrheit und Schönheit — (contra Sicherheit) —, zu verpflichten. In einer großartigen Charakterstudie wird hier ein Wesen lebendig, in dem sich typisch altjüngferliche Züge mit einem sehr unabhängigen, freilich auch wunderlichen Geist mischen. Ebenso ungewöhnlich sind die Wege, die Miss Brodie ihre Mädchen führt. Wenn schließlich auch jede der sechs Miss Brodics hochgespannte Erwartungen enttäuscht und ihre Lieblingsschülerin Sandy sogar der Schul-leitcrin, das Material liefert, das die Lehrerin zu Fall bringt — es bleibt etwas Unverlierbares und Unauslöschbares vom Geist der alten Lehrerin in jeder Leben. Genauso, wie in allen Porträts des Zeichenlehrers der Schule, den eine nie realisierte Liebe mit Miss Brodie verbindet, unverkennbar die Züge Jeans die andere Individualität überdecken, geistert sie auch noch nach ihrem Tod in der Erinnerung ihrer Mädchen. Als Sandy, die Nonne geworden ist — ein Schicksal, das Miss Brodie ganz gewiß nicht für sie ausersehen hat, und das doch, auf seltsamen Umwegen, ihr Werk ist — einst gefragt wurde, was sie in ihrer Schulzeit am meisten beeinflußt habe, antwortet sie ohne Überlegung: „Damals lebte eine Miss Brodie in ihrer Blütezeit...“

Man täusche sich nicht, das ist nicht komisch gemeint! Für Muriel Spark ist immer der Hinter- und Untergrund entscheidend.

Die englische Ausgabe des Romans „Robinson“ erschien 1958, also noch vor „Memento mori“, das den Ruhm der Autorin begründete. Aber schon hier sind alle ihre literarischen Qualitäten und ihre besondere Eigenart spürbar. Es ist übrigens keine moderne Robinsonade. Das Thema der Zivilisationsmüdigkeit und der Flucht in die freiwillige Einsamkeit wird zwar angeschlagen. Im Mittelpunkt aber steht ein anderes Problem. Durch eine Flugzeugkatastrophe wird der Held Robinson gezwungen, die drei Überlebenden, eine Frau und zwei Männer, für einige Monate auf seine Insel aufzunehmen, und nun entwickelt die Autorin die Konflikte und Spannungen, die sich zwischen den vier Menschen und dem kleinen Adoptivsohn Robinsons, Miguel, auf Grund ihres Wesens und der besonderen Umstände ihres eingeengten Insellebens ergeben. Robinson versucht, die Situation durch strenge Distanz, das Verhindern jeder Intimität zwischen sich und den Eindringlingen, und auch zwischen seinen unerwünschten Gästen, zu retten, bis er eines Tages auch diese Form des losen Zusammenlebens nicht mehr verträgt und unter beängstigenden Umständen verschwindet, die auf einen gewaltsamen Tod hindeuten. Der vorgetäuschte Mord schafft eine Atmosphäre des Mißtrauens der Zurückbleibenden gegeneinander: jeder verdächtigt den anderen, der Mörder zu sein, und einer der Männer nützt die günstige Gelegenheit auch noch für einen skrupellosen Erpressungsversuch aus. Aber, diese mit Routine gehandhabten kriminalistischen Elemente sind für Muriel Spark nur Kulisse, es geht ihr um die inneren Reaktionen ihrer verschiedenen Gestalten in der begrenzten Inselumwelt, die kein Ausweichen zuläßt, die Angst und Schrecken auslöst und dunklen Kräften Einfluß gewährt. Das Menschenbild, das sich da herauskristallisiert, ist reichlich pessimistisch, aber Muriel Spark weiß es, wie auch in ihren anderen Büchern, durch liebenswerte Züge, nicht zuletzt durch ihre heitere Ironie, erträglich zu machen. Der Ausblick nach der Heimkehr der Gestrandeten zeigt zudem, daß hier eine Ausnahmesituation des Daseins geschildert werden sollte. „Manchmal, wenn ich die Kings Road hinunterspaziere oder vormittags gemütlich meinen Espresso trinke, und mir zufällig die Insel in den Sinn kommt, halte ich plötzlich die unwahrscheinlichsten Dinge für möglich.“ Dieses Hineinnehmen des Unwahrscheinlichen, des Absurden und Irrationalen in ihre Welt, welche Probleme immer sie auch anschneidet, ist bezeichnend für Muriel Spark. Es gibt ihren Büchern ihre Hintergründigkeit und Tiefe, und auch ihren besonderen Reiz.

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