6784851-1970_08_12.jpg
Digital In Arbeit

Anonymer Kunstbetrieb

Werbung
Werbung
Werbung

„UNBEKANNTE ZEICHNUNGEN alter Meister aus europäischem Privatbesitz.“ Von Charlotte von Pry-bram-Gladona. Prestel-Verlag, München. DM 58.—.

Zeichnungen als Sammelobjekt treten immer mehr in den Vordergrund. Je astronomischer die Preise auf den großen Gemäldeauktionen in die Höhe schnellen, desto intensiver konzentriert sich das Interesse der Liebhaber mit der mittelstark besetzten Börse auf die Originalgraphik. Der Traum von der Zeichnung als „Sammelobjekt des kleinen Mannes“ ist natürlich längst ausgeträumt. Selbst Blätter mittlerer Qualität kosten heute nicht unbeträchtliche Summen. Sammlungen, wie sie Frits Lugt oder Benno Geiger noch im ersten Drittel dieses Jahrhunderts zusammenbrachten, werden nie mehr entstehen. Es ist eine bekannte Tatsache, daß Zeichnungen rascher die Hand wechseln als große Objekte. Umfangreiche und wohlassortierte Sammlungen erscheinen von Zeit zu Zeit auf dem Auktionsmarkt und werden in alle Winde zerstreut. In Wien erlebten wir Ende der zwanziger Jahre die Übergabe der bedeutenden Bestände der Privatsammlung des Erzherzogs Friedrich an den Kunstharidel. Drei Blätter des Bandes können diese renommierte Provenienz für sich in Anspruch nehmen. Zwei holländische Blätter — Jan Lievens d. Ä. „Landschaft mit Bauernhäusern“ und Adrian van Ostade „Gruppe von

rauchenden und zechenden Bauern“ — waren einst in der Sammlung des Dichters Paul Graf Thun-Hohenstein. Wien hat in den letzten fünfzig Jahren beträchtliche Verluste an privatem Kunstbesitz hinnehmen müssen.

Eine reizvolle Zeichnung von El Greco stammt aus der Sammlung des Kunsthistorikers August L. Mayer. Er hat das Blatt selbst erstmalig publiziert: „Ich glaube nun, jn den Besitz einer späten eigenhändigen Zeichnung des Meisters gelangt zu sein. Das Blatt zeigt einen weiblichen Kopf, ist mit schwarzer und roter Kreide ausgeführt, weist auch Lavierungen auf, ist jedoch nicht zum allerbesten erhalten. Aber gerade dadurch, daß das Blatt etwas gelitten hat, tritt der malerische Charakter der Studie um so stärker hervor.“ Solche höchst private Beziehungen zum eigenen Kunstbesitz geben der Sammlung erst den wahren subjektiven Wert. Sie sind leider heutzutage selten geworden. Das Vertrauen auf die sichere Kapitalanlage und die Hoffnung auf steigende Marktpreise überdecken vielfach den Stolz auf kostbaren Besitz. Kein Sammler würde heute mehr öffentlich bekennen: „Ich glaube in den Besitz einer eigenhändigen Zeichnung von Greco gelangt zu sein.“ Die Angst vor der rasch und unbarmherzig zugreifenden Steuerbehörde wäre viel zu groß. Die Anonymität ist ein wesentliches Merkmal des modernen Kunstbetriebes. Sie wird auch bei diesem Band streng gewahrt. Von den 146 zum

Teil exquisiten Zeichnungen des Bandes wurden 133 noch nie publiziert. Mit Ausnahme eines einzigen Blattes von Mignard, darstellend den Kardinal Antonio Barbarini, ist keines der in dem Band vereinigten Blätter ausgestellt gewesen. Nur Charlotte von Prybram-Gla-dona, die als langjährige Assistentin von Pierre Lavdan eine ausgedehnte Expertentätigkeit übte, konnte die Blätter sehen, photographieren und begutachten. Dabei sind ihr einige

interessante Zuschreibungen geglückt. Die ausgezeichneten Reproduktionen und der gediegene Text machen das Buch zu einem kostbaren Begleiter für jeden, der an der Geschichte der graphischen Kunst in Europa echten Anteil nimmt. Die Eigentümer dieser Herrlichkeiten aber sollten bedenken, daß Kunstbesitz eine hohe Verantwortlichkeit involviert, die nicht durch bloßes Bewahren erfüllt werden kann.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung