K ürzlich fragte mich eine Frau, warum ausgerechnet sie an einer unheilbaren Krankheit leide. Was habe sie verbrochen, dass Gott sie so bestrafe, wollte sie wissen.
Theologen behandeln diese und ähnliche kritische Anfragen an Religionen unter der sogenannten "Theodizeefrage“. Sie versuchen also zu rechtfertigen, wie der liebende barmherzige Gott solche Leiden in der Welt zulässt, ohne an Souveränität einzubüßen. Eine Bandbreite an Antworten, die vom Schutz der Freiheit des Menschen bis hin zur Prüfung des Menschen und seiner Geduld durch Gott reicht, soll eine plausible Antwort geben.
Diese Antworten, die große theologische Relevanz besitzen, um Religion rational zu deuten, erinnern an den Versuch, einem beinahe verdurstenden Menschen in Afrika zu erklären, dass die schlechte Umverteilung wirtschaftlicher Ressourcen auf der Erde für seinen Durst verantwortlich sei. Der Mann will aber Wasser und keine Erklärungen, mit denen er nichts anfangen kann.
Auch Religionen müssen uns in unserem Leben berühren und bereichern. Als ich die Dame gefragt habe, wie sich ihr Leben seit ihrer Erkrankung verändert hat, sagte sie mir, dass sie eine Liste mit den Dingen angefertigt habe, die sie unbedingt tun möchte und dass sie tatsächlich damit begonnen habe. Sie fing an vorzulesen: Meinen Bruder, den ich seit drei Jahren nicht gesehen habe, besuchen; mehr Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden verbringen; Geld an eine Hilfsorganisation spenden; den Kontakt zu meinem Vater wiederaufnehmen. Hier unterbrach sie und war für einen Moment still. Plötzlich strahlte sie über das ganze Gesicht und sagte: "Ich hätte so viele schöne Dinge verpasst, wenn ich nicht krank geworden wäre“.
Auch die schlimm erscheinenden Dinge haben meist eine Kehrseite, die uns bereichern kann. Gott kommuniziert nämlich mit uns auf unterschiedlichen Wegen.
Der Autor leitet das Zentrum für
Islamische Theologie an der Uni Münster
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