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Auf dem Weg, nicht am Ziel

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Über meinen Weg zum Glauben habe ich an mehreren Stellen im Zusammenhang berichtet. Wenn ich mich auf die wesentlichen Züge dieser allmählichen und geräuschlosen Entwicklung beschränken darf — and über derlei unauffällige innere Dinge ist meines Erachtens auch nicht mehr als andeutungsweise auszu-sagen: das Beste davon stellt sich in der unübersehbaren Haltung eines Künstlers und Schriftstellers dar, dessen Werk getreu sein Leben und Erleben spiegelt —, so muß ich von vornherein bekennen, daß ich mich nach wie vor nur auf dem Wege, nicht am Ziele weiß. Was für mich feststeht, ist, daß der Glaube, das heißt die unbedingte Hingebung an das Ganze dessen, was die Glaubenswahrheiten der katholischen Kirche ausmacht, eine nicht vom Willen, nodi von der Neigung, auch nicht von der Einsicht in den Inhalt des Gebotenen abhängige, obwohl gewiß dadurch geförderte Wandlung im Gemütsleben des Menschen bedeutet, die als Erfüllung und Vollendung eines mangelhaften und bedürftigen, in den Zustand unanfechtbarer Gewißheit und Sidierheit Wirkung der Gnade, also ein übernatürlicher Vorgang ist. Indem ich diese Überzeugung ausspreche und zugleich die Tatsadie eines solchen Zustandes, in dem ich mich keineswegs befinde, als unleugbar feststelle, kann ich mich in zweifachem Sinn auf dem geraden Weg zum Glauben erblicken: mir ist die Übernatur als Wirklichkeit außer Zweifel und der Gläubige eine Erfahrung. Sein Gegenteil, der bewußter- und ausgesprochenermaßen Ungläubige, den ich gleichfalls kenne, ist nicht mit dem zu verwechseln, den ich den von der Luft der Gläubigkeit Unberührten nennen möchte, eine Verfassung, die mir als meine eigene bis etwa in mein fünfunddreißigstes Lebensjahr als eindeutige vertraut ist, so wie ich sie an einer Reihe mir gleichfalls vertrauter geschichtlicher Persönlichkeiten, die mich beschäftigen, geistig erlebt habe. Diese Menschen atmen in aller Unschuld sozusagen als Glaubensferne. Sie nehmen niemals Anlaß, sich mit etwas zu befassen, was sie nicht im geringsten angeht. Sie täuschen sich auch nicht wie die meisten sogenannten Lauen, die irgendwie ohne Anstrengung Gewohntes mitmachen, über ihre ruhige Ausgeschlossenheit.

Das Merkwürdige scheint mir nun die zunächst an mir selbst beobachtete, vielmehr im nachhinein verzeichnete Wendung, die in der bis dahin unbeirrten, fast nachtwandlerischen Sicherheit dieser Glaubensfremdlinge eintreten mag. Ich weiß es nicht, wann ich bei mir das bemerkt zu haben meine, was sie, die Wendung oder Wende, die noch lange nicht die entschiedene oder entscheidende Umkehr ist, ausmacht oder ankündigt. Vielleicht hat die aus ganz anderen Erkenntnisgründen, und zwar schon sehr früh einsetzende Befassung mit Nietzsche — ich sehe von der Schul zeit ab, in der ich irgendeinmal, ich glaube um das sechzehnte Jahr, das gewohnte Abendgebet aufgab — unwissentlich die Teilnahme an längst nicht mehr Beachtetem geweckt. Eigentliche Philosophie, wie ich sie seit meinem achtzehnten Jahr immer wieder lesend trieb, hat nichts damit zu tun. 1904 habe ich eine sehr starke geistige Wandlung, die einer Läuterung gleichkommt, erfahren: icHerlebte aus dem Innersten die Kunst. Die Kunst aber ist ein Weg zum Glauben, denn sie ist selbst — im Gegensätze zu jeglicher Art von Wissen und Wissenschaft — eine Glaubenserfahrung, eine Weltanschauung. Vorläufig hatte es bei diesem nur ästhetischen, aber, wie gesagt, sehr mächtigen, erschütternden, reinigenden Erlebnis sein Bewenden. Die Wahrheit der Kunst als einer höheren Ebene der Wirklichkeit, einer ändern Wirklichkeit war mir aufgegangen. Zumal dank Plato (über Schopenhauer) und Pater. Das ist eine geistige Umwälzung, die tief hinab, ins Unbewußte geht. Dennoch nicht im eigentlichen Sinne Leben. Es gibt sozusagen leblose Ästheten. Kunstgläubige, die sich nicht verwirklichen. Ein glänzendes Beispiel ist Wilde. (Man vergleiche damit sein Glaubenserlebnis, das, trotz allen ästhetischen Anhängseln rührend, aus „De pro- fundis“ aufstrahlt.)

Bei mir hat stillwirkend das lebendigste Leben — dem ich gerade durch die Erkenntnis der Kunst zurückgegeben worden war aus einer in tastender Selbstsucht vorherrschenden Verkünstelung — das Bessere geweckt. In der allmählichen Verinnerlichung, die ich, von brennendem Ehrgeiz, auf gesellschaftlichem wie dem Gebiete des Staatsdienstes, also in äußerlichem Bereich, zurückgekommen (durch schädigende Mißgunst und eigene Enttäuschung in meinen Zielen), in meinem häuslichen Dasein, das sich damals auch von der Stadt ablöste und sich der Natur näherte, insbesondere durch die liebende Sorge für meine zwei jüngeren Kinder erfuhr. Indem ich mich auch in den Formen der christlichen Glaubensbemühung an ihre Erziehung machte, erzog ich mich nun endlich selbst zu dem, was mir aus der Kindheit, verklärt durch den Tod der frommen Großmutter und der vielleicht nicht frommen, aber an Gnade und Liebe überreichen Mutter, sanft und beseligend im Blut emporstieg. Seither ist das Religiöse ein nie mehr vom inneren Schauplatz verschwindendes Bedürfnis geblieben. Dis einzige, wichtig und unübersehbar als stetige Stufenfolge ist nicht ausschlaggebend. (So hat Pascal nach Kie-kegard, haben de Maistre und Kant mir viel eröffnet.) Mein Werk spricht steigend in immer reinerer Klarheit das Ganze aus.

Mit freundlicher Erlaubnis des Verlages aus: „Einsame Gedankengänge, 1934 bis

1943“, Verlag Karl Alber, München 1947.

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