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Bernadotte am Lake Success

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Napoleon, auf St. Helena an Vergangenheit und Zukunft denkend, ließ sich gewiß nicht träumen, daß nach bloß vier Generationen ein Nachfahr seines verschwägerten und verhaßten Marschalls, den er auf den schwedischen Thron setzte, das Schicksal jenes Landstriches mit entscheiden werd in dem sein Feldzugsplan zum ersten Male scheiterte und daß drüben in Amerika neben dem kleinen Städtchen New York, das die Holländer vor zwei Generationen gegen Surinam ausgetauscht hatten, unter einem Vorsitzenden, der russisch sprechen werde — Alexander I. hatte mit ihm immer französisch gesprochen —, spanische, französische, englische Fragen auf einen Schweden einstürmen würden, der zwischen zwei Gruppen vermittelt, die im Innenverkehr ihrer Länder europäische Sprache und Schrift streng vermeiden.

Am Lake Success war Galatag, als Graf Bernadotte vor dem Sicherheitsräte erschien. Trotz der schwülen Hitze, die über New

York brütet, aber nicht in die luftgekühlte Fabrik eindringt, in der die Vereinten Nationen noch untergebracht sind — war Zuschauer- und Presseraum bis auf den letzten Platz gefüllt. In den Kreis der elf Mitglieder des Sicherheitsrates, vermehrt um die Vertreter der arabischen Staaten und Israels — für den ersen Augenblick sind sie nicht zu unterscheiden — trat ein Mann, der diesen Kreis nach den ersten Worten beherrschte. Er brauchte keinen Dolmetsch, denn er sprach ein Englisch, wie man es nur selten von einem Fremden hört, wenn auch gelegentlich ein skandinavischer Ton durchschlug. Der Klang und der Inhalt seiner Worte fanden geradewegs zu den Herzen und Hirnen seiner Hörer.

Dieser Mann berichtete vor dem höchsten internationalen Forum und bald merkte man, daß es um mehr ging. Seine sieben Th es e n über das, was geschehen müsse, seine „lauten Gedanken“, wie er es nannte, formulierend, berichtetete er nicht dem Sicherheitsräte, sondern da sagte er ihm, was er zu tun hätte, wenn er sich nicht zum Reden, sondern zum Wirken berufen fühle: 1. Gewalt wird nicht geduldet. 2. Ein klarer Befehl zur Einstellung jeder Waffenhand- lyng ist zu erlassen. 3. Wer nicht folgt, verfällt den Sanktionen der Artikel 41, 42 der Satzung — und sie sind anzuwenden!

4. Neutralisierung Jerusalems und Be- schüftzung durch eine neutrale Truppe.

5. Waffenstillstand und Volksabstimmung.

6. Rückkehr der arabischen Flüchtlinge.

7. Garantie eines dauernden Friedens.

Wie Bernadotte Fragen, welche die Debatte von großen Zielen auf kleine Nebengeleise ablenken sollten, bei Wahrung aller diplomatischer Höflichkeit, beantwortete, zurechtwies, zurückwias, war eines großen Anwalts würdig.

Hier war ein Mann, der die Palästinafrage verstand. Er hatte die Überzeugung, daß man sie nicht isoliert betrachten dürfe, sondern nur mit politischen, wirtschaftlichen (öl), kulturellen (Jerusalem) Weltfragen zusammen lösen könne. Auf die Frage des Vertreters Sowjetrußlahds, welchen Teil die Schuld träfe, gab Bernadotte eine so deutliche Antwort, daß der Vertreter Syriens, der Mitglied des Sicherheitsrates ist, sofort ablenkend einsprang. Bernadotte erklärte, der Sicherheitsrat müsse weitere Kämpfe durch die Tat hindern. Der Einsatz einiger tausend Menschen, einiger Millionen Dollar könne ein Feuer ersticken, das hundertmal mehr Menschen und Gut verzehren und sich zum Weltbrand entfachen könne.

Noch ist nicht abzusehen, was geschehen wird. Aber Bernadotte hat sich nicht nur als großer Mann gezeigt. Er ist an keine Befehle einer Regierung gebunden, die nur an ihr unmittelbares Interesse denkt. Er kann sich frei für das einsetzen, was er für gut hält. Mehr solcher unabhängiger Menschen als Lenker der Geschicke derWelt könnten manche Schwierigkeit, die unüberwindlich scheint, rascher lösen.

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