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Besuch in einer Meisterschule

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Im zeitgemäß geleiteten Lehratelier einer Kunstakademie wird nicht mehr im alten Sinne „Schule“ gemacht, der Meister drängt seine Art nicht mehr den Schülern auf. Denn schon die Schüler fühlen sich als Persönlichkeiten, sie wollen ihrem eigenen Gesetz folgen und erwarten vom Lehrer meist nur Unterweisung in den Techniken und eine sachliche, aber nicht persönliche Korrektur ihrer Arbeiten. Das bedeutet nicht, daß der Schüler seinen Lehrer als Künstler nicht mehr schätzen müßte. Er wählt sich ja seinen Lehrer: er geht an eine bestimmte Akademie und dort zu einem bestimmten Professor, er hat z u m i n-d e s t die Wahl zwischen zwei Meisterateliers. Dennoch erwartet er, wenn er nicht in sich haltlos ist, daß ihn der gewählte Lehrer in seiner individuellen Entwicklung nicht störe, ihn nur leite, aber nicht nach einem bestimmten Schema beeinflusse.

Von dieser pädagogischen Grunderkenntnis geht der vor zwei Jahren an die Wiener Akademie für bildende Künste berufene Südtiroler Bildhauer Franz Santifaller aus, Er ist in der Steinbildhauerei und in der Holz-sdmitzerei gleichermaßen zu Hause: sein Vater war Schnitzer, seine Mutter entstammte einer Steinmetzfamilie. Als Knabe schon schnitzte er, und er arbeitete bei Steinmetzen und Im Steinbruch ebenso wie an Bauten. Er gießt seine Kunststeinblöcke selbst, und seine Schüler lernen das ebenfalls. Er bearbeitet das Holz vom Baumstamm ab, und seine Schüler lernen gründlich, mit diesem lebendigen warmen Material werkstoffgemäß zu arbeiten. Der Meister sagte mir bei einem Besuch in seinen Ateliers: „Meine Schüler sollen von mir das für die Zukunft mitbekommen, was sie im realen Leben brauchen können, was sie können müssen, um sich in der Praxis durchzusetzen. Haben sie künstlerische Substanz, so wird sich diese auch entfalten — aber ich kann ihnen keine geben. Ich bemühe mich, ihre Persönlichkeit zu erhalten, aber sie sollen bei mir alles erlernen, was ein Bildhauer notwendig braucht: die Beherrschung der Techniken, die Fähigkeit, sich im erwählten Material ausdrücken zu können. Ich dulde. nicht, daß vergangene Stile benützt werden, wie etwa der gotische, was besonders bei Holzschnitzern eine Gefahr ist; die Schüler sollen zu einer eigenen Ausdnicksweise kommen, wenn ihnen das auch anfangs nicht zu gelingen scheint. Der innere Weg muß selbst gefunden, der äußere kann gewiesen werden.“

Beim Besuch dieser Ateliers wird wieder die Frage laut, ob der moderne Künstler es nötig habe, sich das Rüstzeug der alten noch anzueignen, ob er nicht gleich den Sprung in die neuen Formen wagen soll. Wir dürfen heute nicht vergessen, daß selbst die extrem Modernen anfänglich entweder nach alter akademischer Methode arbeiteten — selbst

Picasso — oder autodidaktisdi einen ähnlichen Weg gingen wie etwa Cezanne, der alte Meister kopierte. Auch Lipschitz oder Brancusi begannen nicht mit „abstrakter“ Kunst. Der Weg zur künstlerischen Form, sei diese nun im eigentlichen oder transformierten Sinne realistisch, geht über die Durchdringung der Natur, ihre mehr oder weniger unmittelbare Darstellung ist der notwendige Durchgangspunkt zur eigentlichen künstlerischen, persönlich bestimmten oder wieder objektiv gewordenen Form. Der junge Mensch, der Schüler, ist ja noch nicht im eigentlichen Sinne „Künstler“, er ist noch ein Suchender, einer,-der erst das ABC der Kunst erlernen muß.

Der Streit um „modern“ oder „konservativ“ ist hinfällig, wenn der Lehrer es unterläßt, seine persönliche Eigenart den Schülern aufzuzwingen. Der Lehrer muß“ aber den Strömungen und Anforderungen, denäußerenunddengeistigen, der Zeit, in der er lebt, gerecht werden — diese Forderung muß erhoben werden —, er muß einen offenen Blick für die Probleme der Jugend haben, er muß wissen, daß nicht seine Art die allein mögliche und richtige ist. Professor Santifaller ist ein

Lehrer dieser Art, ein Freund der Jugend, der seine Schüler versteht und sie für sich zu gewinnen weiß.

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