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Chancen des Studententheaters

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Als in Erlangen einander die europäischen Studententheater trafen (in diesem Jahr zum fünfzehnten Male), wurde in einer von Referaten, Aufführungen und vor allem Diskussionen voll ausgefüllten Woche immer erneut um den Begriff des Theaters in gerade dieser Gegenwart gerungen. Zwar gibt es auch bei den Studenten Gruppen, denen an der Spielfreude genug ist; im Vorjahr waren das die Berliner mit Zweigs „Vol-pone“ und Weisenborns „Ballade vom Eulenspiegel“ in glänzenden Aufführungen, in diesem Jahr die Portugiesen mit einer zwar sehr bunten, aber sehr lässigen Inszenierung von Aristophanes „Vögeln“. — Auch gibt es immer wieder Ausgrabungen theaterwissenschaftlich bedeutsamer Werke; im besten Fall gewinnt man dabei ein Repertoirestück, im schlechtesten hat man immer noch einen interessanten Einblick gegeben in das, was Theater einmal war. Das taten die Kölner in diesem Jahr mit Peeles „Altweibermärchen“, die Italiener (aus ihrer Sicht) mit Gogols „Revisor“, andante moderato die einen, presto molto die anderen.

Aber Spielfreude und Theaterhistorie reichen nicht, zumal bei der Arbeitstagung Erlangen sucht man nach dem Neuen, dem Kommenden, dem Verpflichtenden. Glücklich sind da die Studentenbühnen aus „Mangelgesellschaften“. Etwa die Türken: Sie spielen kostenlos für das städtische Proletariat und die anatolischen Bauern, haben also ein eigenes Publikum. Sie spielen politisch engagiert, klären auf, oft im Gegensatz zum Staat und zu den unterhaltenden Staatstheatern; das ist die eigene Linie. Und schließlich stellen die türkischen Studentengruppen etwa 75 Prozent der professionellen Nachwuchsschauspieler: sie sind also gleichzeitig die Theaterschulen des Landes. In Erlangen konnten sie mit ihrem von starkem Engagement und großem Können getragenen „Krtecrs-spiel“ einen berechtigten Erfolg erringen. '— Auch der europäische Norden (hier von den Niederlanden bis Finnland reichend) ist theatralisches Mangelgebiet: die Spielpläne der wenigen Bühnen sind von ausländischen Erfolgsautoren besetzt; also arbeiten die Studenten workshopartig mit den jungen Autoren des Landes zusammen. Vor allem die Dänen konnten hier mit Leif Petersen eine echte Begabung vorstellen.

Schwierig wird es in Mitteleuropa, vor allem in Deutschland. Studenten haben die Absurden mit durchgesetzt; das ist nun vorbei. Sie haben zuerst wieder, intensiv und mahnend. Brecht gespielt und die politischen Inhalte des Theaters entdeckt.

Sie haben junge Autoren gespielt (Grass, Hildesheimer). Heute aber sind die jungen Autoren bei den professionellen Theatern im festen Vertrag; Brecht wird überall gespielt; die neueren politischen Stücke sind so anspruchsvoll, daß sie von Laien nicht mehr zu spielen sind (Weiß, Walser, Kipphardt): und nachspielen tun halt auch Studenten nicht gern.

Natürlich bleibt immer noch die Findigkeit, von arrivierten Theatern Vergessenes im Augenblick hervorzuholen (Jahns Negerstück „Die Straßenecke“, sogar eine Uraufführung!). Es bleibt der Glücksfall eines jungen Regisseurs, der sichtlich zum professionellen Theater hindrängt, aber noch nicht entdeckt ist. Das waren Claus Peymann (der die Straßenecke mit den Erlangern zu einen großen Erfolg führte) und Patrice Cherau, der mit einer Pariser Truppe und Lope de Vegas ,.Fuenteo-vejuna“ die beste Leistung des Festivals bot. geschult an Planchon und Brecht, ästhetisch durchkomponiert, politisch durchdacht.

Aber solche Glücksfälle geben noch keine Konzeption. Erlangen suchte. Man modernisierte Klassiker: die Finnen formal (Kivis „Kihlaus“), die Frankfurter inhaltlich (des Ari-stophanes „Plutos“ als Auseinandersetzung mit der Wohlstandsgesellschaft). Man ließ sich referieren: Hans Mayer (Politisches Theater: Weiß), Clous Henning Bachmann (Theater als Gegenbild: Genet), Paul Partner (Theater als Mitspiel). Man akzeptierte allgemein das politische Engagement; wie aber soll es theatralisch konkretisiert werden — und wie wird es inhaltlich gefüllt?

Hier fiel eigentlich nur eine negative Entscheidung, die ich für bedauerlich halte: das poetische, verschlüsselte Stück hatte keine Chance. Das harte, im Urteil oft sehr sichere, hier aber wohl vorschnelle Erlangener Publikum blieb ungerührt. Das wurde deutlich bei der Züricher Aufführung von Rozewiczs „Stabilisierung“, noch mehr bei den beiden finnischen Aufführungen, die glänzend durchstilisiertes, hochartistisches Theater zeigten, mit Haavikkos „Münchhausen“ aber auf Unverständnis und Ablehnung stießen. Hier wird man wohl revidieren müssen, wenn man den Text in Enzensbergers 3. Kursbuch nachlesen kann. Intelligentes, besessenes Suchen — das war Erlangen 1965. Warten wir auf das nächste Jahr! —

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