Lavant.jp - © Foto: Privat

Christine Lavant: „Verführt wird die Seele immer in das was ihr das Gefährlichste ist“

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Die Kärntner Schriftstellerin Christine Lavant ist immer noch zu wenig beachtet. Zwei bedeutende Publikationen erinnern an sie: Biografisches in Form vielfach unveröffentlichter Briefe und Dokumente sowie eine berührende persönliche Spurensuche durch Jenny Erpenbeck.

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Die Kärntner Schriftstellerin Christine Lavant ist immer noch zu wenig beachtet. Zwei bedeutende Publikationen erinnern an sie: Biografisches in Form vielfach unveröffentlichter Briefe und Dokumente sowie eine berührende persönliche Spurensuche durch Jenny Erpenbeck.

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„Unsere Dichterin ist eine der wichtigsten und sie verdient, in der ganzen Welt bekannt gemacht zu werden“, schreibt Thomas Bernhard 14 Jahre nach dem Tod Christine Lavants. Ihre „Sehnsuchtsgedichte“ seien, setzt er fort, „aus diesem fürchterlichen geistlosen Kärnten“ entstanden. Ihren 50. Todestag im Vorjahr hat der Wallstein Verlag zum Anlass genommen, ein bemerkenswertes „biografisches Porträt“ herauszubringen, eine eindrucksvolle Sammlung erstmals zugänglicher „Briefe, Texte und Dokumente“, chronologisch zu einem „Mosaik“ zusammengestellt, ausgewählt und kommentiert vom Literaturwissenschafter Klaus Amann. Dass diese Publikation ihr Bild in der Öffentlichkeit nachhaltig verändern wird, darüber waren sich Lavant-Kenner im Feuilleton rasch einig. Noch nie hat man bislang so intime und umfassende Einblicke in das entbehrungsreiche, schwierige und emotional intensive Leben der Autorin gewonnen.

Inspirationsquelle Rilke

In seinem Vorwort steckt Amann die Koordinaten ihres Lebens- und Schaffenskosmos im Kontext ihres sozialhistorischen Umfelds neu ab. Christine Thonhauser, die sich nach dem Tal und Fluss ihrer Heimat Lavant genannt hat, entstammt armen Verhältnissen, in denen sie große Geborgenheit und Liebe erfährt. Dennoch durchlebt sie aufgrund ihrer chronischen Krankheit eine schwere Kindheit. Mit 16 verübt sie den ersten Suizidversuch. Sie liest viel und beginnt nach der Begegnung mit der Lyrik Rilkes und Hamsuns „Das Letzte Kapitel“ selbst Gedichte und Prosa zu verfassen. Fortan wird das eigene Leben zum literarischen Urgrund und Katalysator ihres Schreibens zwischen Strickarbeit für den Broterwerb und der Versorgung und Pflege ihres um 36 Jahre älteren Mannes in einer glück- und lieblosen, aber vor allem traurigen Ehe.

Im November 1950 tritt sie als eher noch unbekannte Autorin bei den St. Veiter Kulturtagen erstmals öffentlich auf. Ihr Erscheinen hält der Schriftsteller Ludwig Mack so fest: „Unter den letzteren war Christine Lavant. Sie kam. Und wie sie kam! Mit Kopftuch, schwarzem ‚Schlawangger‘, schwarzem Rock, ein zusammengeknotetes Tüchl in der Hand, in dem sich ihre Geldbörse und ein Kamm befanden […] – und sie schlug alle in ihren Bann. So begann ihr Weg.“ Damals lernt sie den Maler Werner Berg kennen. Sofort entspinnt sich zwischen den beiden ein Briefwechsel, der hier erstmals einsehbar ist und eine explosiv aufkeimende innige Liebe offenlegt. Schon in seinem ersten Brief spricht Berg von ihrer „Schönheit, Seelenkraft und Größe“, die ihn „wie der Blitz einst den Saulus von Damaskus“ getroffen habe: „Ich trank mich endlich selbst in Ihre Augen hinein und konnte mit denen ungeahnte Herrlichkeiten sehen.“ Obwohl sie anfangs vor allem seiner Frau wegen dieser Liebe gegenüber zurückhaltend ist, sieht Lavant diese Beziehung bald als Neubeginn und ekstatische Kraftquelle – auch für ihr Schreiben, wiewohl ihr Mann, den sie nur mehr „Herr Habernig“ nennt, sie autoritär mit erpresserischen Methoden zu unterbinden versucht. Bergs Ehefrau duldet die Verbindung zunächst, doch nach ihrem Zusammenbruch und einem Suizidversuch Bergs verbietet sie ihr jegliche Kontaktaufnahme. Geistig verbunden bleibt Lavant mit ihm dennoch bis zu ihrem Tod. Die Trennung markiert eine Wende für ihr Schreiben, das zu vertrocknen beginnt.

Mysteriöses Literaturwunder

Über Thomas Bernhard freundet sie sich mit Gerhard und Maja Lampersberg an, sie hat Kontakt mit bekannten Autorinnen und Autoren ihrer Zeit, erhält Preise und wird auch privat gefördert. Selbstzweifel bleiben permanent. Nach Aufenthalten in Pflegeheimen und einem Intermezzo in Klagenfurt kehrt sie aus Heimweh wieder nach St. Stefan mit Blick auf die Koralpe zurück, der sie sich magisch verbunden fühlt. „Es ist soo gut, daheim zu sein“, schreibt sie. Ihrem vermutlich letzten Brief an Berg ist der Abschied eingeschrieben: „Behüt Dich Gott Werner. Unter meinen Polstern ist das Schutzengelbuch“ – es wurde unter den Trümmern seines im Krieg zerstörten Elternhauses gefunden. Berg hatte es Lavant geschenkt.

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