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Das Buch der tausend Abenteuer

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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄOHTEN. Vollstän- dige deutsche Ausgabe in 6 Bänden. Zum ersten Mai nach dem arabischen Urtext der Calcuttaer Ausgabe aus dem Jahre 1830. Ubertragen von Enno Litzmann. Insel-Verlag, Wiesbaden. Jeder Band zirka 800 Seiten. Preis: DM 180.—.

Diese Märchen, Sagen, Legen- den, Novellen, lehrhaften Geschkhten und Schwänke stammen aus indischen, persischen und arabischen Quellen. In der gegen- wärtigen Form wurden sie ver- mu tlich im 16. und 17. Jahrhun- dert, und zwar in Agypten, zu- sammengestellt Ein arabischer Schriftsteller erwähnt die „Tausend Abenteuer” bereits 947. 40 Jahre später hören wir bereits von der Rahmenerzählung von Schehrezâd, die wahrscheinlich aus Indien stammt. — Die Geschich- ten umfassen, kulturhistorisch betrachtet, einen weiten Zeit- raum: Es gibt solche aus der Epoche des Köniigs Salomon, der Perserkönige und der ersten Kalifen, aber auch Geschichten, in denen bereits Schießwaffen, Kaffee und Tabak vorkommen.

Für Europa hat dieses große Märchen- und Geschichtenbuch von 1001 Nacht Jean Antoine Galland entdeckt (1646 bis 1715), der als Sekretär der französi- schen Gesandtschaft und Samm- ler viele Jahre im Orient lebte. Er stützt sich in seiner zwölf- bändigen Ausgabe, die bald in viele Sprachen übersetzt wurde, auf eine arabische Handschrift und die Erzählungen eines Gewährsmannes. Kurioserweise wurde Gallands Ausgabe, voll- ständig oder teilweise, auch in orientalische Sprachen übertra- gen. Erst als im 19. Jahrhundert der arabische Urtext gedruckt wurde, benützten die Ubersetzer diesen.

Es gab eine erste und eine zweite Calcuttaer Ausgabe, auf der letzteren basiert die Uberset- zung des königlich sächsischen Breslauer Universitätsprofessors Habicht, die in den Jahren 1825 bis 1843 erschien. Schließlich kam in Beirut auch eine stark ge- kürzte Edition heraus, die in der Jesuitendruckerei hergestellt wurde. In alien diesen Ausgaben gibt es Ergänzungen, Auslassun- gen und Zusätze, ja ganz neue Geschichten aus anderen Sagen- kreisen. Eine andere Kuriosität: In den orientalischen Ausgaben fehlen die bei uns populärsten Geschichten von Aladin und der Wunderlampe Sowie die Abenteuer Sindbads, des Seefahrers.

Der Insel-Verlag hat sich ffüh- zeitig der vollständigen Edition angenomimen und Enno Litzmann mit der neuen Ubersetzung be- auftragt, eine Lebensaufgabe, vergleichbar jener, die Karl Eugen Neumann mit der Ver- deutschung der Schriften Buddhas (der mittleren und der großen Sammlung) auf sich genommen hat. Die erste vollständige Ausgabe des Insel-Verlages vom Jahr 1908, auf der auch die vor- liegende basiert, wurde von Hugo von Hofmannsthal eingeleitet, der sein Leben lang dieses Werk geschätzt und bewundert hat. Dem Knaben, dem Jüngling und dem gereiften Mann bietet sich ein jeweils anderes Bild von diesen Märchen, Liebes- und See- fahrergeschichten. Ihre Buntheit ist unübertroffen in der gesamten Weltliteratur, ihr Tiefsinn unaus- schöpflich. Überschwang der Phantasie und schneidende Welt- weisheit schließen sich hier nicht wechselseitig aus. „Hier ist”, schreibt Hofmannsthal, „die kühnste Geistigkeit und die voll- kommenste Sinniichkeit in eins verwoben”, und der Dichter ver- gleicht das Gefühl des Lesenden mit dem eines im schönen klaren Wasser Badenden, der das Gefühl der Schwere verliert, aber seines Leibes zugleich auf genießende und zauberische Weise gewahr wird. Ein grandioses patriarcha- listisches Leben entfaltet sich hier, kindlich-naiv, unbeküm- mert kraftvol’l, voller Weisheit und nüchtemer Lebensklugheit, aber frei von Gemeiriheit: Eine unvergleichliche, eine vollkom- mene, eine erhabene Sinnlichkeit halt das Ganze zusammen, denn ,,es ist über diese Wirrnis von Menschlichem, Tier und Dämon immer das strahlende Sonnen- zelt ausgespannt oder der hei- lige Sternenhimmel”. Das Grund- gefühl, das schließlich den Leser überflutet, ist das einer unendlichen Heiterkeit. Und heute wie vor hundert und mehr Jahren gilt das Wort Stendhals: „Es ist das Buch, das man immer wieder völlig sollte vergessen können, um es mit erneuter Lust immer wieder zu lesen.” — Die vor- nehm und handlich-schlicht aus- gestatteten dunkelblauen Leinen- bände der Insel-Ausgabe laden dazu ein.

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