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Das Gedicht

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1NGEBORG BACHMANN AUSFAHRT

om Lande steigt Rauch auf.

Die kleine Fischerhütte behalt im Auge,

denn die Sonne wird sinken,

ehe du zehn Meilen zurückgelegt hast.

Das dunkle Wasser, tausendäugig, durchblutet Poseidons Reich und schlägt die Wimper on weißer Gischt auf, dich anzusehen, groß und lang, dreißig Tage lang.

Auch wenn das Schiff hart stampft und einen unsicheren Schritt tut, steh ruhig auf Deck.

An den Tischen essen sie jetzt

den geräucherten Fisch,

dann werden die Männer hinknien

und die Netze flicken,

aber nachts wird geschlafen,

eine Stunde oder zwei Stunden,

und ihre Hände werden weich sein,

frei on Salz und öl,

weich wie das Brot des Traumes,

on dem sie brechen.

Die erste Welle der Nacht schlägt ans Ufer, die zweite erreicht schon dich.

Aber wenn du scharf hinüberschaust, kannst du den Baum noch sehen, der trotzig den Arm hebt — einen hat ihm der Wind schon abgeschlagen — und du denkst:

Wie lange noch, wie lange noch wird das krumme Holz den Wettern standhalten?

om Lande ist nichts mehr zu sehen.

In die Muscheln blasend,

begleiten die Ungeheuer des Meers

Nereus’ Töchter über die Wellen,

sie reiten und schlagen

mit blanken Säbeln

die Tage in Stücke, eine rote Spur

bleibt im Wasser,

dort legt dich der Schlaf hin,

zwischen Proteus und Glaukos,

die Najaden treffen

mit kaltem Stahl deine Brust.

Und dir schwinden die Sinne.

Da ist etwas mit den Tauen geschehen, man ruft dich, und du bist froh, daß man dich braucht. Das Beste ist die Arbeit auf den Schiffen, die weithin fahren, das Tauknüpfen, das Wasserschöpfen, das Wändedichten und das Hüten der Fracht.

Das Beste ist, müde zu sein und am Abend hinzufallen.

Das Beste ist,

am Morgen, mit dem ersten Licht, hell zu werden,

gegen den un errückbaren Himmel zu

stehen,

der ungangbaren Wasser nicht zu achten

und das Schiff

über die Wellen zu heben,

auf das immer wiederkehrende

Sonnenufer zu.

ABSCHIED ON ENGLAND

Ich habe deinen Boden kaum betreten,

schweigsames Land,

kaum einen Stein berührt,

ich war on deinem Himmel

so hoch gehoben, so in Wolken, Dunst

und in noch Ferneres gestellt,

daß ich dich schon erließ,

als ich or Anker ging.

Du hast meine Augen geschlossen mit Meerhauch und Eichenblatt, on meinen Tränen begossen, hieltst du die Gräser satt; aus meinen Träumen gelöst, wagten sich Sonnen heran, doch alles war wieder fort, wenn dein Tag begann.

Alles blieb ungesagt.

Durch die Straßen flatterten die großen grauen ögel und wiesen mich aus.

War ich je hier?

Meine Augen sind offen.

Meerhauch und Eichenblatt?&—

Unter den Schlangen des Meers

seh ich, an deiner Statt,

das Land meiner Seele erliegen.

Ich habe seinen Boden nie betreten.

AUes bleibt ungesagt.

Die Autorin, Dr. phil. Ingeborg Badunaim, wurde 1926 in Klagenfurt geboren. Die beiden Gedichte Sind der on Hans Weigel herausgegebenen Anthologie „Stimmen der Gegenwart laSz“ entnommen, die im „ erlag für Jugend — erlag Jungbrunnen“, Wien, erschienen ist.

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