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Das geheime Kloster Santa A4oniL

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Was mich in Puebla am meisten interessierte, war das geheime Kloster Santa Monika. Es ist ein finsterer, bizarrer Ort; was hier etwa an Schönheit da sein mag, ist Kaviar für die Welt. Das Kloster wurde 1678 gegründet, doch in der Zeit Juarez', als die Religionsverfolgungen einsetzten, glitt es lautlos aus dem Gedächtnis der Welt und wurde erst 1935 von Detektiven ausfindig gemacht. Beinahe ein Jahrhundert lang hatte es bestanden, Novizen waren aufgenommen worden und hatten ihre Gelübde abgelegt, hatten hier gelebt und waren gestorben, ohne daß die Behörden etwas von ihrer Existenz erfuhren. So gering ist der Kontakt, den ein abgeschlossenes Kloster mit der Welt hat, daß es ein leichtes war, alle Bande, die es mit dem Leben von Puebla verknüpften, zu lösen, mit einer einzigen Ausnahme. Die bestand in einer Magd, die mit ihrer Dienst-geberin in Streit geriet in dem Privathaus, das die Fassade des Klosters bildete.

Man gelangt zu ihm am Stadtrand, in einer Straße, die bessere Tage gesehen hat; hohe graue Häuser drängen gesellig bergab, dem Bauwerk entgegen. Die Tür steht immer offen wie die eines zweideutigen Hotel; steinerne Treppen führen zu einem kleinen Zimmer empor, wo Männer von herabgekommenem Aussehen auf Besucher warten. Sie erinnern an die feisten arroganten Gestalten der Politiker auf den Baikonen, sind aber schäbiger — sie betreiben ein minder gutes Geschäft. Das Gebäude ist nun von den Freimaurern zu einer Art Gottlosenmuseum umgestaltet worden. Einer der Führer — er sah ebenso gewöhnlich und politisch aus wie die andern — willigte ein, mich sofort umherzuführen, ohne auf eine größere Gesellschaft zu warten; wir stießen später, als wir auf Händen und Knien durch eine Falltür krochen, mit einer Besuchergruppe beinahe zusammen, und ich erhaschte ein paar Sätze, der konventionelle Spott auf Frömmigkeit. Mein Führer ließ überraschenderweise den Spott weg; er berichtete einfach, führte mich zuerst in das kleine Speisezimmer, wo die Familie, die das Haus bewohnte, ihre Mahlzeiten eingenommen hatte. Dies war die Stelle, an der die Detektive vor drei Jahren auf die Anzeige der entlassenen Magd hin eingedrungen waren, Alles, was sie ihnen sagen konnte, war, daß hier das Kloster war; Lebensmittel wurden eingekauft und gelangten irgendwie herein — aber wo? — und das Kloster lieferte — aber wie? — Stickereien, die verkauft werden mußten. Es war ein enges Gebäude, bloß ein Zimmer tief in einer langen Straße, und dieses Speisezimmer enthielt einen Tisch und eine Vase mit Blumen, ein paar Sessel, zwei Wandbretter in einer Nische an Stelle einer Anrichte und eine zweite Vase mit Blumen auf dem Fußboden neben der Wand. Die Detektive wollten hier die Suche fast schon aufgeben, als einer von ihnen die Blumen beiseite schob und einen Klingelknopf entdeckte. Er drückte ihn nieder, und die ganze Wand mit den Regalen schwenkte sich auf, und dahinter führte eine Treppe geradewegs hinab in das Arbeitszimmer der Oberin. Sie fanden etwa vierzig Nonnen in dem Kloster, Frauen in den mittleren Jahren: Novizen hatte es geraume Zeit keine gegeben.

„Was geschah mit ihnen?“

„Oh, sie wurden vertrieben“, sagte der Führer ohne Gehässigkeit. „Sie versuchen in Privathäusern nach ihrem Gelübde zu leben.,“

Wir kletterten hinab in das kleine schreckliche Arbeitszimmer: es gab zwei Bücherschränke mit Glastüren, einen Tisch mit staubiger Decke, einen Holzsessel, dunkle Bilder von alten Heiligen, ein erbauliches spanisches Gemälde und ein Kruzifix. Aus dem Arbeitszimmer gelangten wir in das Schlafzimmer der Oberin — die Schlafstelle war ein Brett und darüber das unschöne wunde Antlitz Gottes. Die Detektive hatten selbst nach dieser Entdeckung keine leichte Arbeit gehabt; sie fanden die Schlafräume ohne besondere Mühe, wo aber befand sich die Kapelle? Auch sie wurde zufällig entdeckt: man entfernte eine Steinplatte im Waschraum und kroch durch die Höhlung — wie wir es nun taten — in eine Kapelle mit Chorstühlen. Uber jedem hing ein Strick und eine Dornenkrone, und ein großer goldschimmernder Altar bildete den Abschluß, In einer Glaskapsel war in einem Reliquienkästchen das verdorrte Herz des Gründers, von der Farbe lang getrockneten Blutes. Es gab noch mehr Reliquien in der älteren Kapelle dahinter, wo Lücken in der Wand den Nonnen erlaubten, den Altar einer benachbarten Kirche während der Messe zu sehen. Herzen und Zungen waren aus ihren Kapseln genommen worden und lagen umher, einige in Spiritusgläsern, andere einfach auf einen Teller gehäuft wie Leberstücke — uninteressante Brocken und Reste lang verstorbener Leute. Wer sie gewesen, wußte niemand. Eine zweite Falltür führte in ein dunkles Gelaß, wohin die Nonnen sich zu Elnzelandachten zurückziehen konnten, und zur Begräbnisstätte. Die Leichen wurden zuerst eingemauert, und nachher, wenn das Fleisch sich abgelöst hatte, warf man die Knochen in eine gemeinsame Grube; diese lag nun offen mit ein paar Schädeln, die man zu Propagandazwecken darin zurückgelassen hatte.

Wir stiegen wieder treppauf in ein Gemach voller Gemälde an samlüber-zogenen Wänden — schrecklich idealisierte Marterszenen in Carlo Dolcis sentimentaler Manier. Die Politiker waren sehr stolz auf diese Bilder; sie vermochten in der finstern Grube nichts Schönes zu finden, doch diese Gemälde, sagte der Führer, seien eine Million Pesos wert. Ich machte irgendeine törichte abschätzige Bemerkung. Er hörte sie nicht. Als wir herauskamen, sagte er gedankenverloren: „Ja, sie haben der Kirche alles gestohlen.“ Ich staunte; da hatte ich ja wirklich einen Verräter aus dem freimaurerischen Lager vor mir. Ich sagte ihm, daß ich Katholik sei, und er meinte leise und traurig (es wirkte seltsam, wenn man dabei das abgetragene politische Gesicht des Mannes sah): „Dann werden Sie Verständnis haben für die armen Frauen und ihren Kampf.“ Er führte mich hinaus ins Freie, eine breite Treppenflucht hinab, zwischen Körben mit Farnen, in den Patio, der voller Bäume und Rosen war — ein Garten für die Novizen und ein größerer für die Nonnen. Hier war alles voll Duft und Sonnenlicht und Stille und Verlassenheit; im Mittelgrund einer Mauer erhob sich ein Kreuz, und das Gesträuch kletterte daran empor wie Efeu. Er pflückte eine Rose und gab sie mir — „zur Erinnerung an die armen Frauen“. Ich entdeckte sie erst vor einigen Tagen wieder zwischen den Seiten eines faden Liebesromans, von Trollopes „Barchester Towers“. Ich wurde ganz wehmütig, als ich den schwachen Rosenduft einsog. Es scheint ein langer Weg zu sein, von Barchester nach Puebla, der finsteren Begräbnisstätte und der Schädelgrube, wo die freimaurerischen Fremdenführer auf Händen und Knien durch die Waschraumwand hindurch in die verlassene

Kapelle kriechen, ein gut Stück weiter als ein paar tausend Meilen: nämlich die ganze unermeßliche Erntfernung zweier Geistesverfassungen.

(Aus dem Buch „Gesetzlose Straßen', mit Bewilligung der Thomas-Morus-Presse, Verlag Herder, Wien.)

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