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Das GlUcle kam zu mir

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Der Mensch ist wie ein Käfer, ein ganz kleiner Käfer.

1859, mit 18 Jahren, wurde ich Leutnant, mit 36 Gulden Monatsgage, ein ganz kleiner Käfer. Mehr zu erzielen, gab es nur zwei Wege: das Wagnis und das Glück. An das Wagnis ging ich selbst, das Glück kam zu mir.

1861 stand ich in Verona. Beim Exerzieren sah ich die Monte Lessini vor mir. Ich sah immer hinauf, die Berge machten mich verrückt. Ich begann zu sparen, um sie zu durchforschen: die Monte Lessini, den Glockner, den Adamello. Die Karten waren falsch; bessere zu machen, das war ein schönes Ziel für einen so geringen Käfer. Bis 1864 hatte ich schon 120 Gulden erspart. Sie reichten für eine beschwerdenreiche Durchwanderung und für die Neuaufnahme des Adamello.

Nach getaner Arbeit da oben wollte ich von Pinzolo über Tione und Trient wieder heim, nach Venedig, in meinen neuen Garnisonsort, denn mein Urlaub war beendet. In Tione stieß ich auf einen mir von früher her (unangenehm) bekannten Major. Er lud mich eirl, sein Gast zu sein, bei ihm zu übernachten. Das war sehr schön von ihm. Man sieht, das Glück gab sich Mühe, sich mir zu nähern.

Schon sehr früh saß ich neben biederen Bauern im Stellwagen zur Fahrt nach Trient, zur Bahn (die erst wenige Jahre vorher von Bozen nach Verona gebaut worden war). Da kam der Major eilig herbei und reichte mir ein Fäßchen hinauf: „Forellen für Seine Exzellenz General Kuhn in Trient.“ Ich möge die Güte haben, sie abzugeben. Als ich nun das Fäßchen ergriff, da hatte ich, freilich ohne es zu wissen, das Glück in der Hand. In Cumano, halben Weges, gab ich dem Glück, das heißt dei. Fischen, frisches Wasser.

Und nachmittags stand ich in Trient vor Kuhn, den ich vorher nie gesehen, der aber zwei Jahre später vorbildlicher Gebirgskrieg-führer und bald darauf noch mehr wurde. Ich fand den General auf dem Gang; er in Hemd-Mrmeln, ich im abgenutzten Berggewand. Ich stellte ihm zuerst die Fische, dann mich selbst vor. Das Gespräch, das nun folgte, war nicht so, wie es sich für einen General schickt, der mit einem Leutnant spricht; es war geradezu revolutionär.

„Was machen Sie hier?“

„Ich reise nach Venedig und komme vom Adamellogebirge.“

„Was haben Sie dort gemacht?“

„Eine neue Karte.“

„Waaas? Eine neue Karte? Wo ist sie?“

Ich eilte ins Hotel zurück und eine Stunde darauf stand ich wieder vor Kuhn, mit der Karte in der Hand. Der General hatte jetzt einen goldenen Kragen, “ich aber war noch immer wie ein Wanderbursche gekleidet, leider auch mit lärmenden Bergschuhen, deren Nägel in den Parkettboden eingriffen; da gab es kein Ausgleiten.

„Das haben Sie gemacht? Aus eigenen Mitteln?“

„Ja, Exzellenz.“

„Sind Sie so reich?“

„Oh nein, ich lebe von meiner Gage.“

„Wie ist das möglich?“

„Ich spare, ich esse nur Brot.“

„Dann bewundere und bemitleide ich Sie.“

Kuhn war ein hochgebildeter, genialer General. Er konnte explosiv sein wie ein Vulkan, aber auch edel und treu wie Gold und unumwunden wie ein Kind. Er legte seine Hände auf meine Schultern und rief:

„Wäre ich Kriegsminister, dann hätten Sie ihre Arbeiten auf Kosten des Staates fortzusetzen und nicht mehr zu darben.“

Bald darauf, wenige Jahre später, war Kuhn Kriegsminister!

Er rief mich vom Regiment fort, gab mir drei Tiroler Jäger, 1000 Gulden und einen Theodolit. Ich ging zum Ortler und zum Adamello zurück, wo ich bereits vier Sommerurlaube auf eigene Kosten mit Bergsteigen, Vermessen und Kartenzeichnen verbracht hatte; und machte eine neue Karte, eine bessere.

Mit demselben Theodolit habe ich nachher Nordostgrönland aufgenommen und das Franz-Joseph-Land. Er blieb auf dem „Tegetthoff“ zurück und versank mit diesem Schiff.

Kuhn aber blieb mein Freund und Gönner bis zu seinem Tode im Jahre 1896. Ihm habe ich es zu danken, daß ich mich von den Alpen weg zu größeren Zielen wenden konnte, zur Polarforschung.

Jetzt aber hat jeder Sessel meiner Wohnung drei gro3e, silbergestickte Forellen. Sie erinnern r-lch täglich an den General Kuhn in Trient und an den Augenblick des Glücks. Denn ohne diese Forellen würde ich heute noch exerzieren,wie damals in Verona, angesichts der Monte Lessini, ein armer, kleiner Käfer.

Julius von Payer hat diese ergötzliche Kurz-geschickte Jahrzehnte spater niedergeschrieben. Und deren Abschreiber war es mehrmals vergönnt, in den mit Silberforellen gestickten Sesseln in der Wohnung von Payers Erbin in Wien, im siebenten Bezirk, zu sitzen; dies nur mit ehrfürchtiger Scheu.

Payer wurde am 1. September 1841 in Teplitz-Schönau in Nordböhmen geboren, lebte mehrere Jahrzehnte in Wien und starb am 29. August 1915 in Bad Veldes in Krain. In den 74 Jahren seines Lebens war er Offizier, Bergsteiger, Kartograph, Topograph, Schriftsteller und Vortrags-redner gewesen — für die Bergsteiger vor allem, und zwar von 1864 bis 1868, das heißt als 23- bis 27jähriger —, Erschließer der Ortler- und Adamello-Presanella-Gruppen für die gerade erst erwachende Bergsteigerei, Erstbesteiger vieler Dreitausender, wie des Adamello, der Presanella, des Cevedale und vieler anderer bedeutender Gipfel, sodann, und zwar von 1869 bis 1874, weltberühmt gewordener Polarforscher. Als solcher entdeckte er auf Grönland den Franz-Joseph-Fjord, später im Eismeer, nordöstlich von Spitzbergen, das umfang- und inselreicke Franz-Joseph-Land (heute russisch), wurde dafür erblich geadelt, bekam mehrere österreichische und sehr viele ausländische Orden. Schließlich vertauschte er mit 33 Jahren den Degen mit dem Malerpinsel, mit dem er — außer einer Unzahl von Zeichenskizzen und Porträts — eine große Zahl prächtiger Polarbilder schuf, mit denen er noch immer einsam in der Kunstgeschichte steht. Sein berühmtestes „Nie zurück!“ hängt im Sitzungssaal der Philosophischen Fakultät der Universität in Wien.

Mit 43 Jahren erblindete Payer an einem Auge, mit 71 Jahren wurde er stumm und mit 74 Jahren starb er, betreut zuletzt auch von seiner jungen Vorleserin, die heute noch in Wien lebt.

Im Gedenken seines Namens und seiner Leistungen aber bleibt er noch lange durch seine stilistisch glänzenden schriftstellerischen Werke, enthaltend seine Bergfahrten und seine wissenschaftlichen Arbeiten auf den Bergen sowohl als auch im Nordeismeer; zudem in den drei Bergeshöhen auf Grönland, im Ortler- und im Adamello-Gebiet, schließlich und am volkstümlichsten in der Payer-Hütte des Alpenvereines am Tabarettakamm zum Ortler und im künstlerischen Weißmarmordenkmal (von Steinhäuser) ganz nahe der Kirche von Sulden, am Nordfuße des Ortlers. Dessen heute noch gültigen Normalanstieg hat er vor 90 Jahren als erster — 1865 — im Alter von 24 Jahren beschritten und erklettert.

Julius von Payer, der ehemalige österreichische Offizier, hat es noch erlebt, daß der Ortler wenige Monate vor seinem Tode Mittel-und Höhepunkt einer Kriegsfront geworden ist, aber doch von österreichischen Soldaten und Bergführern aus Sulden und Trafoi und auf seinem Anstiegswege besetzt worden war.

Und wohl ging noch während seiner Militärdienstzeit — 1866 — Venetien an das neue Italien ab; jedoch die Uebergabe Südtirols, damit auch der Ortler-, Adamello- und Presanella-Gebicte, von denen er einst so vorzügliche Karten gezeichnet hatte, geschah erst vier Jahre * später. Und zur selben Zeit ging seine Heimat im tschechoslowakischen Staate auf, besser gesagt: unter. Lois K ö II

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