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Der gestürmte Oott

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Schweigend ragte die Höhe von Vido-vica empor in grenzenloser Einsamkeit.

Dort oben stand, allein und verlassen, Svantevid. Seine Anbeter blieben ihm fern, nur ein Wächter hütete ihn.

Schwarz vom Regen herbstlicher Tage, grau im grellen Sommerglanz, wenn die Sonne im Zenith stand, und flammendrot im Abendleuchten, als sei es mit Blut übergössen, reckte sich das Standbild hoch über dem Meer wie ein Gespenst aus dem Felsen in den Himmel. Regungslos blickten seine drei Köpfe ringsum in die Ferne. Si starrten auf die Inseln, die das weite Meer umspülte, und auf die Kammlinie der Gebirgskette, die das Ufer des Festlands überragte. Und ein ungeheures Staunen lag im Ausdruck dieser sechs riesengroßen Augen, als frage sich die Gottheit: „Wo bin ich? Und was soll ich hier?“ Die Augen des nach Norden gerichteten Kopfes waren am weitesten geöffnet, als spähten sie weit hinaus in unendliche Fernen, als schauten sie ein grenzenloses Land.

Dem Faun Brah war es gestattet, sich in nächster Nähe des Idols aufzuhalten,

Er betrachtete es mit der Neugier eines Kindes, dem sich in allem etwas Lebendiges offenbart. Anfangs übte Svantevid auf ihn eine seltsame Anziehungskraft aus: „Sieh da, das ist eine Gottheit, die du auch sehen kannst. Sie hat einen Rumpf mit Armen und Beinen und drei menschenähnliche Köpfe. Wahrscheinlich kann sie auch hören und sehen und gleich den Göttern der alten Hellenen vermag sie alles auszuführen, was sie will. Fremdartig ist zwar ihr Aussehen und keineswegs schön, aber das Horn, das ihre Hand umfaßt, enthält Honig, Ähren und Obst, als seien ihr der Saitenklang einer slawischen

Gusla und der Ton einer Hirtenflöte lieber als Waffengeklirr.“

Jahre hindurch suchte der Faun immer und immer wieder das Idol auf der Anhöhe auf.

Er ging rings um das Götterbild herum und bestaunte es, auch war er der erste und vielleicht der einzige, der gewahrte, daß es mit dem Gott nicht mehr seine Richtigkeit hatte, als sei ihm alles und jedes gleichgültig geworden.

Eines Tages bemerkte Brah, daß sich Svantevids rechte Hand vom Unterarm löse, auch das Horn, das ohnedies lange schon leer war, fiel bald darauf zu Boden. Einer der drei Hälse des Götterbildes barst, der Kopf neigte sich vornüber und stützte sich mit dem Bart auf die Brust. Der Anblick der verstümmelten Rechten und des mächtigen, vorgebeugten Schädels war ebenso häßlich wie traurig.

Da der Faun sah, daß der beklagenswerte Zustand des Idols die Neretljaner nicht im geringsten beunruhigte, und da er selbst nicht wagte, das geheiligte

Standbild zu berühren, ging er nach Skrip, wo der Einsiedler Georgije II. nunmehr als Priester auf dem Trümmerfeld der Stadt Scirpea den Bau einer kleinen Kirche für die christliche Gemeinde leitete.

„Vater“, sagte er ihm, „Svantevid ist erkrankt. Schon lange leidet er an Schwermut. Diese Karstfelsen sind ihm widerlich, auch unser Meer und die heiße Sonne behagen ihm nicht. Die Gläubigen haben ihn im Stich gelassen. Er regt sich nicht, seit langem schon, und er atmet auch nicht. Ich glaube, daß er blind und taub geworden ist. Er läßt sich von Würmern zernagen und aushöhlen und von Blitz und Stürmen schlagen. Auch wenn er nicht verletzt wird, zerfällt er in Stücke, er löst sich selbst auf. Sein Arm ist verstümmelt, sein Hals geborsten, sein Kopf neigt sich vornüber. Risse und Spalten durchziehen seinen Körper. Der Wind schaukelt ihn. Er tut mir von Herzen leid!“

Wiederum hörte Brah aus dem Munde des Alten die Worte, die ihm dereinst der erste Eremit Georgije gesagt hatte, als er im Sterben lag:

„Unergründlich sind die Wege des Herrn!“

Der Einsiedler ließ ihn wissen: „Nur was unecht ist, fault und zerfällt. Die Kroaten haben auf dem Festland feste Wohnsitze erbaut und lassen sich nun taufen. Ihr Fürst Domagoj war ein wilder Krieger und der Schrecken der Venezianer. Nichtsdestoweniger stand er mit seinem Geschwader dem Franzosenherrscher Ludwig im Kampf gegen die Sarazenen bei, und es gelang den beiden, die Stadt Bari zu erobern. Papst Johann VIII., der ihn zwar wegen seiner Raubzüge in den Gewässern der Venezianer getadelt hatte, verlieh ihm daraufhin den Beinamen .ruhmreicher Fürst'.“

Er hielt inne, denn jetzt erst wurde es ihm bewußt, daß sich Brah in diesem Gewirr verschiedenartigster Namen wie in einem Netz verstricken müsse.

Eines aber hatte der Faun dennoch verstanden: Er, der Stille, Er, der Gütige — das Lamm, das ans Kreuz geheftet worden war —, hatte überall und über alle den Sieg davongetragen.

„Sieh da“, sagte der Faun im Selbstgespräch, „Christus, das Lamm, ist mächtiger als Pan, der Bock, als Jupiter, der Stier, und als Svantevid, der dreiköpfige Bär, der sich in den Wäldern des Nordens von Beeren, Kräutern und Wurzeln nährt. Vielleicht ist doch das Lamm der wahre Gott.“ Brah beschäftigte sich öfter mit diesem Gedanken, um so mehr als er sah, wie das Idol auf der Höhe von Vidovica immer rascher verfiel und sich von selbst in alle seine Teile auflöste.

Was jedoch Georgije dem Faun angedeutet hatte, sollte sich gar bald erfüllen.

Eines Tages versammelten sich alle Inselbewohner auf der Höhe von Vidovica. Von den umliegenden Inseln und vom Festland kamen Schiffe in großer Zahl und landeten in den Häfen von Braß. Die Angekommenen reihten sich in Prozessionen ein; Fahnen, an deren Spitze ein Kreuz blinkte, flatterten im Wind.

Druzak, der ehemalige Seeräuber, ging im Hafen von Harvaska an Land, wo er einst in jungen Jahren zum erstenmal als Sieger die Insel betreten hatte, dann begab er sich, barhäuptig und bloßfüßig, an der Spitze seiner Krieger und einer unübersehbaren Menge nach Bogovdol, wo er von Geistlichen und Einsiedlern feierlich empfangen wurde. Sie luden ihm ein schweres Holz auf den Rücken. Hierauf erstiegen alle die Hochfläche und wandten sich, Bußpsalmen singend, der Anhöhe von Vidovica zu.

Dort angelangt, scharten sie sich im Kreis um das Götterbild.

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