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Der Leopard — ein Jahr darnach

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Mit allem Aplomb eines Bestsellers, der in seinem Ursprungsland rasch eine ge- waltige Auflage erzielte, kam dieses Buch zu uns, zahlreiche weitere Ubersetzungen folgten.

Heute, ein Jahr darnach? Man liest das Werk, das (als einziges seines Autors) postum erschien, zum zweitenmal mit gesteigerter Freude, als Begegnung mit einem Freund, an dem man, je langer die Freundschaft dauert, um . so reichere Eigenschaften feststellt. DaB ..II Gatto- pardo” auf dem Bestsellerteller lag, ist ihm langst verziehen, er ist mit einem einzigen Satz elastisch weitergesprungen, dorthin, wo die Weltliteratur steht.

Die Einstufung des Werkes als Ab- gesang fiir das alte, das aristokratische Europa, als Poesie in Prosa, als Summe einer heute kaum mehr erahnbaren Le- bensffille, sei nicht wiederholt, sie ist seit dem Erscheinen durch Kritikerbrigaden genug betont worden. Wir aber be- griifien die Menschen des Buches als Ver- traute: Tancredi, den Archetypus des Jfinglings siidlichen Blutes, Angelica mit ihrer animalischen Schonheit, Concetta mit ihrer herben Seele, die Furstin im Schatten des Gatten. den Ffirsten Don Fabrizio, der sich mit seinem Wappentier in ebenso hoffnungsloser Sehnsucht zu identifizieren versucht wie der Autor mit seinem Helden. und all die andern, die, obwohl Randfiguren, doch Hauptgestalten ihrer selbst sind, wie vor allem Pater Pironne, der Jesuit.

Nun, da wir nicht mit der Spannung des Geschehens vorwartseilen, verweilen wir mit Mufie bei einzelnen Gedanken und Schilderungen. schliipfen zwischen den Saulen und Fassaden der Handlung umber, hier und dort fasziniert deren Rfick- seite betrachtend und deutend, da die Verhaltnisse der Dimensionen studierend, dort Worten und Tonen und deren Wider - hall in uns selbst nachlauschend, mit dem Gefiihl, in ein volkreiches literarisches Gemeinwesen einzukehren, das, seit wir es zum erstenmal betraten, zu einem Stuck geistiger Heimat wurde.

Das Werk ist ein einziges Paradoxon, sehen wir jetzt, jede Gestalt, jeder Ge- danke tragen ihren Antagonismus als luf- tigen Schatten mit sich, die Tone, die Farben spiegeln sich in ihrem komplemen- taren Widerpart. mit diesem jeweils erst ein Ganzes bildend. Kommen daher die Schwerelosigkeit, das Schwebende des Buches? Oder daher, daB hier eine Weis- heit spielt, die das Wissen nicht fiber Ge- bfihr ernst nimmt, die vor den Ratseln der Welt demfitig wird? Wenn wir mit Tomasi Ironie als Kategorie der Liebe, Poesie als dramatisches Element, Skepsis als Zwilling der Zuversicht und das Be- wuBtsein der Endlichkeit irdischen Stre- bens als Unterpfand gesteigerter irdischer Lust erleben, wollen sich manche der Saulen. die gemeinhin unseren Alltag tragen, auflosen. Sie werden durchsichtig, Steine liicheln, politische Systeme werden zu Tafelrezepten vol! absurder Aromata, der Mensch aber ist in einer Gerechtigkeit geborgen, die alle menschlichen MaBe ubersteigt.

Geborgenheit in einer ewig unversteh- baren Welt: das ist das grofie, das eigent- liche Geschenk Giuseppe Tomasi di

Lampedusas an uns. Das sanfte Gelachter fiber unsere eigene Gescheitheit und den Eifer der anderen, fiber die Bosheit jener und unser Erschrecken vor den Schatten unseres Ichs, in das wir mit ihm einstim- men, ist wie ein Bad im Morgentau der

Reife, eines, das falsche Angste, Skrupel und Komplexe hinwegnimmt, uns auf den Pfad der Einigkeit mit uns selbst lenkt; und inwendig, in den Tauperlen ringsum, spiegeln sich Grausamkeit und Zartheit, Anmut und Verfall, Unkeuschheit und Keuschheit, Demut und Hybris, spiegelt Sich ein ganzer Kosmos humaner Moglich- keiten und Grenzen, jede reizvoll, lockend wie am ersten Schopfungstag, anziehend, abstoBend, Gedanken zeugend, Leben ge- barend, unerforschlich.

Kein MiBverstandnis, bitte: im „Leo- parden” ist nichts relativiert, die Dinge stehen unversehrt im Glanz ihrer GroBe oder Abscheulichkeit, nichts ist zwie- lichtig, zweideutig, die Schatten fallen schwarz im Licht der wilden sizilianischen Sonne. Die Zynismen jener modernen Literatur, die keine Kapriolen scheut, um sich als emanzipiert (woven eigentlich?) auszuweisen, existieren fiir Tomasi nicht. Er liebt.

Was im Klappentext irreffihrend „un- geahnte Pikanterien” genannt wird, glfi- hende Sinnlichkeit auf der einen, geistige Florettduelle auf der anderen Seite, Ex- plosionen und Umarmungen, Staatsaffaren im Narrenkleid von Bagatellen (und um- gekehrt), sind, blickt man tiefer, Glanz- lichter des Lebensstromes, der geheimnis- trachtig durch die Seiten zieht, Eifersucht erweckt und es nicht zulaBt. daB man seine Teile, Facetten, Schaumkronen und Scherzi verabsolutiert und ffirs Ganze nimmt, aus dem erst sie ihr funkelndes Leben beziehen. — Dies einige Anmerkun- gen fiir heute. Was wird uns der „Leo- pard” im kommenden Jahr mit der dritten Lektiire geben? Neue Abenteuer, neue Entdeckungen, das steht fest.

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