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Der Schlechterwisser

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Wir leben in einer Zeit der Besserwisser. Jeder kennt sich - völlig zurecht-überall aus. Nur ich mich nicht. Jeder hat ein Rezept gegen Angst und Arbeitslosigkeit, Krieg und Krisen, nur ich kann meinen Schnupfen nicht heilen. Meine besten Freunde - Mike, Robert und Helmut - erklären mir täglich, was ich alles besser machen könnte - und sie haben immer recht. Wie meine geliebte Frau Helga. Ich schäme mich zwar, muß aber mannhaft-feige zugeben, daß ich kein Besser-, sondern ganz im Gegenteil, ein Schlechterwisser bin. Mein einziger Trost ist die gar nicht so schlechte Gesellschaft, in welcher ich mich befinde:

■ „Ihr sieht heute wiedermal ,Klasse' aus ...!" sagte Marx zu den Proletariern, die sich daraufhin vereinigten. Wenn auch ohne Marx.

Daher übernahm der Dauergast in der Ieseh-alle des British Museums für die Nachkommenschaft keinerlei Verantwortung. Nicht für Lenin und Stalin, Mao und Rakosi und nicht einmal für Zucker-Schilling, obwohl Marx weder Diabetiker noch ein Währungsfanatiker war. Marx kannte die Zinsen seines „Kapitals"; er war eben kein Besserwisser.

■ Ungarns Reichsverweser Horthy, der zwar kein Reich, doch umso mehr verwesene Leichen im Keller hatte, glaubte felsenfest an die Macht des Antikommu-nismus, bis die Nazis seinen Sohn aus den Wolken schössen und ihn samt Familie internierten. Auch er war kein Besserwisser.

Während ich ver-

zweifelt in meinem spärlichen Geschichtswissen nach anderen Beispielen historischer Schlechterwisser krame und meinen Gesundheitstee in einem Zug austrinke (wie sollte ich während des Trinkens die Bahn wechseln?), fallen mir meine anderen Schlechterwisser ein. Oder hat Kreis-ky an das Ende der Zehntausenden künstlich gehaltenen Arbeitsplätze in der „Verstaatlichten" gedacht? Oder haben die „Grünen" je ernsthaft daran gedacht, in ihrer Partei etwas anderes zu machen, als sich gegenseitig umzubringen? Oder hat Klagenfurts Metelko je mit einer FPÖ-Antipathie gerechnet? Oder ... oder ... oder ... Lauter Besserwisser, die sich viel wohler in meiner „Partei der Schlechterwisser" fühlen würden.

Pardon: Habe ich vergessen zu erzählen, daß ich drauf und dran bin, eine eigene Partei zu gründen; und zwar die der Schlechterwisser? Im Gegensatz zu unseren unzähligen Polit-Pro-pheten und Markt-Meteorologen

wird meine Partei, wie schon der Name sagt, nur aus Menschen (Männer inklusive) bestehen, die offen zugeben, keine Visionen zu haben (daher können sie sich den Psychiater ersparen), eine völlig perspektivlose Politik zu hintertreiben (betreiben wollen sie ohnedies nichts) und die Zukunft ausschließlich in der Vergangenheit zu suchen.

Da meine Partei nichts von Kunst versteht, werden wir noch vor Peym-anns Ende häufig das Burgtheater besuchen und den Bürgermeister aus Wulkaprodersdorf zum zuständigen Ressortchef machen.

Ich fürchte jedoch, daß sich der Zustrom zu meiner „Partei der Schlechterwisser" in relativ schmalen Bahnen (Helga: „Bitte, jetztkein OBB-Sy-nonym ...!") halten wird. Wie sollte es auch anders sein? In einer Welt der unzähligen Besserwisser wird sich kaum jemand offenherzig als Schlechterwisser deklarieren.

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