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Digital In Arbeit

Der sehr erfolgeiche Herr Reckenwaldt

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Man muß es gleich im voraus betonen: es gibt nichts gegen den sehr erfolgreichen Herrn Reckenwaldt zu sagen. Er ist ein tüchtiger Mann, kennt nur seine Arbeit und steigert Jahr um Jahr die Produktion seiner Betriebe. Ein äußerst tüchtiger und umsichtiger Mann ist dieser Herr Reckenwaldt. Nichts gegen ihn, denn er ist zudem sehr fortschrittlich, schwört auf die neuesten Maschinen und die modernsten Produktionsmethoden. Modern und produktiv sind seine Lieblingswörter, und deshalb kann und darf man auf keinen Fall einen Menschen verdammen.

Für Herrn Reckenwaldt müßte der Tag 48, 72 oder noch mehr Stunden haben, dann käme er vielleicht mit seiner Arbeit, die er sich täglich vornimmt, einigermaßen durch. Aber so, da die Zeit von 24 Stunden für einen Tag unumstößlich festgesetzt ist, führt der sehr erfolgreiche Herr Reckenwaldt einen ständigen Kampf mit der Zeit. Er liest die Geschäftspost während des Frühstücks, telephoniert während der Diktate, empfängt die Abteilungsleiter während des Mittagessens, kalkuliert die Preise für die neuen Staubsaugermodelle während geschäftlicher Besprechungen, notiert sich Pläne für die Zukunft, während er mit den Kindern spielt, und zergrübelt sich das Hirn nach arbeitsparenden Fabrikationsmethoden, wenn er schlafen sollte. Ein sehr tüchtiger Mann also. Er hat sogar ein Diktiergerät neben seiner Badewanne stehen.

Es weiß heute niemand mehr, wo der sehr tüchtige und sehr erfolgreiche Herr Reckenwaldt die Zeit hernahm, um einmal über sich nachzudenken. Es ist aber erwiesen, daß er dies einmal getan haben muß, und bald darauf stellte er einen Mann an, den er beauftragte, für ihn, den vielbeschäftigten Mann, ein Privatleben zu organisieren.

Dieser Mann, ein gewisser Herr Bauer, war zwar nicht so tüchtig wie Herr Reckenwaldt, aber er war immerhin nach vier Wochen angestrengter Arbeit in der Lage, einen 32seitigen Plan mit diversen Anlagen (A bis F) für das Privatleben des sehr erfolgreichen Herrn Reckenwaldt vorzulegen.

Herr Reckenwaldt überflog die sorgfältige Arbeit und sagte ein Wort, das er sonst nie gebrauchte. Er sagte: „Unmöglich.“

„Wieso?“ fragte Herr Bauer.

Herr Reckenwaldt griff ein paar Vorschläge heraus. „Hier dreimal wöchentlich je eine Spielstunde für die Kinder, zwei Abende für meine Frau, zwei Theaterbesuche im Monat, ebenso zwei Opernbesuche, vier Bücher zu lesen,-eine Gemälde- und eine Graphikausstellung zu besuchen, Gottesdienst, soziale Wohlfahrt, Naturbetrachtung, Entspannung und Sport! Das ist Wahnsinn! Das geht nicht!“

Herr Bauer hob die Schultern und ließ sie wieder fallen. „Für den Fall, daß der erste Plan unmöglich sein sollte, habe ich einen zweiten ausgearbeitet, der allerdings notwendigermaßen wesentlich teurer kommt.“

„Zeigen Sie“, brummte der sehr erfolgreiche Herr Reckenwaldt.

„Wir machen es dann ganz einfach so“, sagte Herr Bauer, „daß ich die Führung Ihres Privatlebens übernehme. Sie brauchen mir nur die Bewilligung zu geben, hierfür einige Leute anzustellen. Einen Mann, der für Sie Bücher liest, einen, der für Sie Blumen und Sonnenuntergänge betrachtet und für Sie im Botanischen Garten spazieren geht, einen Mann, der für Sie die Theater- und Ausstellungsbesuche absolviert, einen, der für Sie Sport betreibt, und einen, der mit Ihren Kindern spielt. Ich selbst...“

„Was würden Sie selbst tun?“ fragte Herr Reckenwaldt.

„Ich“, antwortete Herr Bauer, „würde diese Männer überwachen und darauf dringen, daß sie Ihr Privatleben gewissenhaft ausführen, und Ihnen täglich in einer Viertelstunde berichten, was diese Männer für Sie erlebt haben.“

Herr Reckenwaldt dachte nach, dann fragte er: „Sagen Sie, Bauer, gibt es eigentlich schon einen Mann, der auf diese Weise sein Privatleben zu leben versucht, wie Sie es mir da vorgeschlagen haben?“

„Meines Wissens wären Sie der erste, wenn Sie meine Vorschläge akzeptieren.“

„Gut“, sagte der sehr erfolgreiche Herr Reckenwaldt, „dann stellen Sie diese Männer an, sorgen Sie aber dafür, daß es ausgezeichnete Leute sind, die das alles für mich tun, und bringen Sie das ganze dann in die Presse. Wir starten nämlich eben ein neues Schreibmaschinenmodell, da werden diese Meldungen gleich den Absatz heben.“

Herr Bauer begab sich auf die Suche nach geeigneten Leuten, und nach einem -weiteren Monat war er so weit, Herrn Reckenwaldt den ersten Bericht über dessen Privatleben am ver-' gangenen Tag vorlegen zu können.

„Sie müssen sich beeilen, Bauer“, sagte Herr Reckenwaldt, „denn in genau 14 Minuten, 22 Sekunden beginnen wir die Konferenz über die Erzeugung eines neuen Kunststoffes.“ ,

„Sie spielten gestern Tennis“, sagte Herr Bauer, „die drei Sätze gingen 6:2, 6:1 und 6:0 an Sie, die zusehenden Leute waren über Ihr Spiel begeistert.“

„Gut“, sagte der sehr erfolgreiche Herr

Reckenwaldt, „aber für das nächste Mal wünsche ich mir einen etwas stärkeren Gegner.“

„In der Ausstellung für moderne Plastik gefiel Ihnen besonders die Sitzende mit Laute und der Läufer, der eine unheilvolle Botschaft überbringt. f

Nachher spielten Sie ein wenig mit Ihren Kindern im Garten, Sie freuten sich, daß Werner 1,32 Meter hoch sprang, daß Michael sich nach einem Schlüssel bückte, den Sie fallen ließen, und daß Susanne das Märchen vom Rotkäppchen so hübsch erzählte,“

„Was weiter?“ fragte der tüchtige Herr Reckenwaldt.

„Am Abend waren Sie in der Oper. Sie fanden Wagners Musik etwas zu pompös und waren mit dem Dirigenten nicht ganz zufrieden, die Ouvertüre ließ er ein wenig zu laut spielen. Ansonsten war es eine mittelmäßige Repertoireautführung. Der Tenor Walter von Stolzings klang Ihnen etwas zu gepreßt, dagegen war der Sopran Evas glockenrein und hatte auch noch in den Höhenlagen erstaunlichen Umfang.“

„Gut, gut“, sagte Herr Reckenwaldt, „aber welche Oper war es eigentlich?“

„.Die Meistersinger von Nürnberg'% ibf-, eilte sich Herr :tjm5ttn.\f' Heimweg verzicfiter'eri Me auf Ihren Wagen uncT nahmen den Weg durch den Stadtpark. Sie hörten eine Nachtigall singen und betrachteten eine Weile den zunehmenden Mond, der sich im Teich spiegelte. Daheim lasen Sie noch 20 Seiten Thomas Mann und wünschten dem Autor einen etwas flüssigeren Stil.“

„Ist' das alles?“

„Nein. Sie hatten auch noch Zeit, den gestrigen Sonnenuntergang zu beobachten. In einem schwefelgelben Abendhimmel schwammen kupferfarbene Wölkchen. Die Leute in den Straßen blieben stehen und sahen sich das an.“

„Kupferfarben sagten Sie?“

Jtt a.

Der sehr erfolgreiche Herr Reckenwaldt drückte auf einen Knopf und sprach in das Mikrophon: „Nachsehen, ob wir noch Kupferaktien aufnehmen können.“ Dann unterbrach er sich: „Welche Farbe hatte der Himmel?“ fragte er Herrn Bauer.

„Schwefelgelb.“

„Schwefelimporte stoppen“, sprach der Herr Reckenwaldt in das Mikrophon.

Und damit war die erste Unterredung beendet. Tag für Tag und Jahr für Jahr folgten weitere Berichte Herrn Bauers, und der sehr erfolgreiche Herr Reckenwaldt war gut und gewissenhaft über sein Privatleben unterrichtet.

Einige Jahre später ließ er einen Mann aufnehmen, der für ihn die Kirche besuchte, die Predigten anhörte, in der Bibel las und bei Prozessionen mitging. Das brachte eine kleine Aenderung in die Berichte Herrn Bauers, die aber nicht wesentlich, war.

Eine tiefgreifende Aenderung trat erst ein, als ein Herzanfall Herrn Reckenwaldt niederstreckte und Herr Bauer beauftragt wurde, einen Mann ausfindig zu machen, der für den sehr erfolgreichen Herrn Reckenwaldt sterben wollte. Dieser Mann ließ sich aber nicht finden, obwohl man in sämtlichen Zeitungen inseriert hatte und eine erkleckliche Summe dafür bezahlt hätte. Herr Reckenwaldt war also gezwungen, vom Leben eines Wirtschaftsführers in sein Privatleben zurückzukehren und selbst zu sterben.

Seitdem ist das Team, das sein Privatleben geführt hatte, ohne Beschäftigung. Es ist aber bereit, gegen angemessene Belohnung das Privatleben jedes Erfolgreichen zu übernehmen und es bis zu dessen Tod getreu und gewissenhaft auszuführen.

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