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Der Uniformlcnopf

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Diese kleine Geschichte spielt in Tirol lange vor dem ersten Weltkrieg. Eine Episode aus meiner Militärzeit, ist sie mir doch unvergeßlich geblieben.

Es war in Schwaz zur Zeit der Firmung. Auch unserm Dorf merkte mah schon am Morgen die Festtagsstimmung an. Eine Reihe von Leiterwagen, mit Laub und Fahnen geschmückt und vollbesetzt mit weißgekleideten Mädchen und deran Eltern, Paten und Patinnen, zogen an uns vorüber. Auch in Pilla rüsteten viele Mädchen mit grünen Kränzlein im Haar zum Kirchgang nach Schwaz.

Ich hatte an jenem Tage gerade Dienst und ritt gegen neun mit meiner Abteilung aus. Laut Tagesbefehl sollten wir bis Terfens reiten und dort auf einem freien Platz Gruppenübungen abhalten. Es war ein schöner, sonniger Tag. Trabend bogen wir in die Gassen von Schwaz ein. Auf den von Menschen überfüllten Straßen flatterten die Fahnen zu Ehren des großen Feiertages. Aus der Kirche, an der wir vorbeikamen, drang Gesang.

Schnell entschlossen sagte ich: „Wachtmeister, Sie reiten nach Terfens und warten dort auf mich. Toni, du bleibst bei mir und wirst das Pferd halten!“

Ich betrat vorsichtig die Kirche, um nicht mit Säbel und Sporen zu klirren. Die düstere Kirche mit ihrem kühnen Gewölbe war durch viele buntfarbige Lichter festlich erleuchtet. An allen Altären wurde die hl. Messe gelesen. Der greise Bischof von Brixen stand, umringt von Priestern im altem Ornat, vor dem Hauptaltar, der voll war von flammenden Lichtern und bunten Blumen. In den Bänken saßen Nonnen mit weißen Hauben und junge Mädchen in Festtagskleidung. Sie waren herausgeputzt wie zur Fronleichnamsprozession. Das aufgelöste und gekräuselte Haar war mit Bändern durch-flochten und mit Blüten geschmückt. Um den Hals trugen sie eine Korallenkette und in der Hand hielten sie das Gesangbuch und ein weißes Spitzentuch.

Die Mütter schauten aufmerksam nach ihren Töchtern, denn bald verschob sich hier eine Haarsträhne, bald bildete sich dort eine Falte am Ärmel. Und alle die Kinder sahen mit großen, andächtigen Augen auf den greisen Herrn Bischof aus Brixen. Lichter, Blumen, Musik, Gesang, das alles war für sie da, für sie zelebrierte der Herr Bischof aus Brixen das Hochamt; sie waren nach sorgfältiger Vorbereitung, nach vielen überstandenen Ängsten, in Scheu vor dem frisch gebügelten Kleide, mit Kränzen im Haar, gewaschen, gekämmt, hiehergekommen. Welch eine Pracht! '

Von der Empore herab ertönte ein gemischter Chor. Sänger aus Innsbruck waren da, und auch Streicher und Bläser spielten. Es war wirklich großartig.

Ich schloß die Augen und begann zu träumen, vergaß, daß ich Soldat war und fern, fern der Heimat.

Die Feier war zu Ende. Die Altäre standen verlassen, und nur noch blaue Weihrauchwolken schwebten, durchleuchtet von den Strahlen, die durch die bunten Fenster einfielen, empor.

Die Menschen strömten hinaus.

Vor dem Haupttor herrschte ein solches Gedränge, daß es lange dauerte, ehe ich zum Ausgang gelangte. Ich befand mich die ganze Zeit mitten unter den Mädchen. Als ich schließlich das große geschmiedete Portal erreichte, fühlte ich, wie jemand rückwärts an meinem Waffenrock einen Knopf berührte. Ich drehte mich um und erblickte ein etwa zehnjähriges Mädchen. Es hatte dem Glanz meiner Knöpfe nicht widerstehen können, und ehe die Mutter es merkte, hatte es einen davon berührt. Denn dieser Knopf funkelte wie ein Metallspiegel, in dem man sich in sonderbaren Verzerrungen widergespiegelt sieht.

Ich lachte, aber die Mutter, eine Frau in Tiroler Tracht, einen kleinen Strohhut mit langer Schleife auf dem Kopf, sagte rügend: „Leni, was erlaubst du dir dennt Entschuldigen Sie“, wandte sie sich an mich, „sie ist so unartig.“

„Nein, nein, liebe Frau“, erwiderte ich, „meine Knöpfe haben ihr offenbar gefallen. Wohin geht es denn jetzt?“ erkundigte ich mich, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.

„Zum Zuckerbäcker gegenüber. Wir wollen etwas von der Firmung mit nach Hause bringen. Ich habe noch zwei solche daheim.“

„Was hast du denn von deinem Paten bekommen?“ fragte ich das Mädchen.

Statt zu antworten, zeigte sie mir das rechte Handgelenk. Dort glänzte ein Kinderarmband in Gestalt einer sich schlängelnden Schlange, deren Augen zwei blitzende grüne Steine ersetzten.

Wir hatten bereits die Treppe erreicht, und Lenis Gestalt war jetzt von Sonne umstrahlt.

Sie war durchaus nicht schön. Auf dem mageren kränklichen Gesicht brannten rote Flecke. Das Kleid war wohl von der Mutter daheim geschneidert worden und schien mir viel zu groß und zu faltenreich. Die schwachen, blutleeren Kinderbeine staken in weißen Strümpfen, und um den dünnen Hals hing ein silbernes Kettchen mit einem Muttergottesbild als Anhänger.

Wir trennten uns.

„Grüß Gott“, sagte ich und salutierte lächelnd.

„Grüß Gott“, antwortete die Frau, nickte, nahm Leni an der Hand und schritt die Stufen hinab.

Ich entfernte mich, um nach den Pferden zu sehen.

Aber die kleine Leni ging mir nicht aus dem Kopf. Ich kehrte auf halbem Wege um, lief in die Einfahrt eines alten Hauses nahe der Kirche, zog den Rock aus und schnitt mit dem Taschenmesser den linken glänzenden Knopf ab, der Leni so gut gefallen hatte.

Ich fand sie auch glücklich noch beim Zuckerbäcker, dessen Laden voll war von Menschen. Ich sagte, ich sei nun durch Zufall auch ihr Pate geworden, daß ich es aber dabei bewenden lassen und mich meiner Patenpflichten durch diesen Uniformknopf entledigen möchte. Ich kaufte Leni ein paar Cremrollen und

Schokoladefiguren, ferner auf ein Papier aufgeklebte Wickelkinder und ein Stück Torte und verabschiedete mich schließlich.

Kaum aber hatte ich mich in Schwaz aufs Pferd gesetzt, als mir mein Bursche meldete: „Der Herr Kadett dürften rückwärts einen Knopf verloren haben.“

„Ich weiß“, sagte ich. Wir ritten im Galopp nach Terfens.

Bald holten wir unsere Abteilung ein. Ein Reiter war zurückgeblieben, weil sein Pferd tanzte und bockte. Schließlich beruhigte es sich; er schloß sich uns wieder an und meldete: „Der Herr Kadett haben rückwärts einen Knopf verloren!“

Ich wandte mich um, antwortete aber nicht. Als wir den Reiter überholt hatten, schwenkte Korporal Hummel, in Zivil Fiakerkutscher in Wien, aus der Mitte ab, sprengte im Galopp hinter uns drein und rief laut: „Meld' g'horsamst, Herr Kadett, Sie ham rückwärts am Rock an Knopf verloren I“

Ich erreichte den vordersten Reiter, in eine dichte weiße Staubwolke gehüllt. Der Wachtmeister trieb sein Pferd hinter das meine, schaute aufmerksam auf meinen Rücken, strich sich den Bart, nahm die Pfeife aus dem Mund und meinte: „Sie müssen schon entschuldigen, Herr Kadett, aber mir scheint, Sie haben irgendwo einen Knopf verloren.“ Nach diesen Worten wandte ich mein Pferd und ließ die Kolonne vorüberreiten. Dann hatte ich Ruhe.

Es war sehr heiß damals. Von unseren Stirnen rann der Schweiß, die Pferde waren mit Schaum bedeckt, man konnte vor Staub kaum atmen.

Wir bogen vor Terfens in den Wald ein und ritten etwa eine halbe Stunde waldeinwärts, bis wir zu einem wilden Gebirgsbach und einem hübschen freien Platz kamen. Uber uns duftete der Wald und am blanken Himmel zeigte sich kein einziges Wölkchen. Als wir gebadet hatten, kamen die Pferde an die Reihe. Jeder führte das seine am Halfter ins Wasser, ließ es trinken, und dann bespritzten wir sie, bis ihr Fell wie Seide glänzte.

Wir hielten auf der Wiese unsere Übungen ab und erreichten gegen halb zwölf die ersten Häuser unseres Dorfes.

Wir begegneten Leutnant W. Ich leistete ihm mit dem Säbel die Ehrenbezeigung und ritt weiter. Da rief er mir nach: „Hallo — he! Dir fehlt ein Knopf rückwärts!“ Ich drehte mich um und lachte.

Beim Mittagessen aber war mir nicht zum Lachen. Ich hatte mich umgekleidet und ging auf die Veranda. Am Tisch saßen neun Offiziere; sie schienen alle auf mich zu warten.

„Warum hast du denn die Paradeuniform an?“ fragte mich der Kommandant, Oberleutnant K.

„Er hat rückwärts einen Knopf verloren“, sagte Leutnant W.

„Wie ist denn das passiert?“ wollte der Oberleutnant wissen, während er sich Suppe auf den Teller schöpfte. „Er wird abgerissen und heruntergefallen sein“, antwortete ich ruhig. „Mir scheint, ihr habt statt Übungen abzuhalten, irgendwo im Wald um Knöpfe gespielt“, stichelte der Fähnrich.

„Du irrst, wir waren zwar im Wald, haben aber gebadet —“

„Dann ist ihm der Knopf davon-geschwommen.“

„Nein, nein“, meinte der Oberleutnant, „er hat doch einen Schimmel, der bockt. Schlagen darf er das Biest nicht, sonst wirft es ihn ab. Und damit er nicht herunterfällt, hat er sich am Sattel festgebunden ... Heute früh“, fuhr der Oberleutnant fort, „ist der Gaul wieder gestiegen, und dabei ist er heruntergepurzelt. Ich hau mit eigenen Augen gesehen, wie der Schimmel allein dahergelaufen kam; am Sattel baumelte ein Strick, an dem ein Knopf hing.“ So hänselten sie mich beim Mittagessen. Auch am folgenden Tag ließen sie mich nicht in Ruhe. „Du, sag, wie war das eigentlich mit dem Knopf?“ konnten sie unermüdlich fragen.

Noch am dritten Tag, als ich in dem gleichen Rock, den ich am Firmungstag in der Kirche getragen hatte, die Kanzlei betrat, kommandierte der Oberleutnant: „Kehrt Euch!“ Ich machte kehrt, daß es nur so staubte. Und nochmals: „Kehrt Euch!“ Der Knopf war vorschriftsmäßig angenäht.

Er lachte, bot mir eine Zigarette an und sagte: „Das nächste Mal, mein Lieber, paß besser auf den Schimmel auf!“

Ich habe noch oft an jene Firmung denken müssen. Wo mein Knopf jetzt wohl sein mochte? Vielleicht sitzt irgendwo in einem Tal in den Alpen die kleine Leni vor dem Haus. Vater und Mutter mähen Gras auf der nahen Wiese, und Leni näht mit unbeholfenen Fingern meinen Knopf wie einen großen funkelnden Stern an ein Puppenkleid. Eine Puppe mit einem so großen glänzenden Knopf hat sicher keine ihrer Freundinnen weit und breit.

Aus dem Tschechischen übersetzt von Juliu M a d e r

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