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Die Albernheiten des Fernsehens

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Zu diesem Thema sammeln sich im Laufe einer Saison so viele Anmerkungen im Notizheft eines Rezensenten, daß erst die Hundstage Gelegenheit bieten, diese Überreste vom reichen, aber so gemischten Tisch des Fernsehens abzuladen.

Zu alten Kinofilmen Kinofilme müssen häufig für die viel kürzeren Vorführungszeiten des Fernsehens gekürzt werden. Die Kürzungen sind oft so kraß und skurril, daß die albernsten Westerner so etwas wie surrealistische Qualitäten erhalten. Der naivere Teil des Publikums weiß zwar nicht, was da nicht stimmt, spürt aber, daß irgend etwas nicht in Ordnung ist. Aber es ist ja vieles nicht in Ordnung. Wie bei Hunden und Pferden zählen auch bei Kinofilmen die Lebensjahre etwa siebenmal so viel wie beim Menschen. So spüren wir schon bei kaum älteren als zehnjährigen Kinofilmen hoffnungslose Veraltertheit. Und

wir empfinden Sidney Poitiers damalige Naivität und Ungezwungenheit in „Ein Mann besiegt die Angst“ heute bereits als gemacht und unglaubhaft. Nicht anders wie das neurotische Ungestüm Kirk Douglas im „Gehetzten“. Schauerlich, wie sentimental und kitschig selbst ein so tragisches Motiv wie das des psychisch ruinierten ehemaligen KZ-Insassen und wie jujune der Idealismus eines israelischen Kibbuz noch vor erst zehn Jahren von den Filmmachern aufgefaßt wurde. Die ganz alten Filme aus der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg werden bereits als ehrwürdige historische Dokumente empfunden. Da sind nur die heute dazugemachten. quasi-ironlschen Kommentare albern. Ich sehe den Augenblick kommen, in dem das Fernsehen — ein großer und gieriger Verbraucher —> das Reservoir alter Kinofilme verzehrt haben wird. Was dann? Wird uns dann gar vielleicht das Privileg zuteil werden, die neuesten Kinopremieren auf dem Schirm vorgeführt zu erhalten? Die Fernsehleute erklären, daß das heute unerschwinglich ist. Auf den neuen Ozean-Luxusschiffen und bei einer amerikanischen Fluglinie wird es bereits gemacht.

Nachrichten

Der Nachrichtendienst des Fernsehens hat seine Kinderschuhe noch lange nicht vertreten und bewegt sich hierbei noch immer in den Fußstapfen des Hörfunks. So gut die Sprecher auch aussehen mögen, so ist es auf die Dauer doch läppisch, sie nichts anders als— von wenigen Archivphotos unterbrochen — die Nachrichten vorlesen zu sehen. Und es ist nicht an dem, daß es viel verlangt scheint, Aufnahmen von nicht vorgesehenen Ereignissen zu produzieren. Auch die Presse steht vor diesem Problem und hat es durch Korrespondenten und die großen Agenturen gelöst. So ist zum Beispiel nicht einzusehen, warum die Fernsehsysteme der ganzen, Welt nicht bis zum heuti-gent Tag ein ständiges Reporter-

team im Nahen Osten — wo wahrlich jeden Tag etwas passiert — zustande bringen konnten. Das österreichische Fernsehen hat so etwas wie einen eigenen Sprechstil bei seinen Ansagerinnen entwickelt. (Es gibt rühmliche Ausnahmen, wie etwa Frau Berthe.) Jene sprechen, als ob sie rohe Kartoffeln im Munde oder als ob sie einen Kieferkrampf hätten. Damit soll wohl Prägnanz hervorgerufen werden... Gestärkter, geschlossener Kragen, Krawatte und Jackett scheinen auch in diesen Hundstagen für die bedauernswerten Fernsehsprecher, ja wie man sich nach einem Besuch im Funkhaus überzeugt, für sämtliche männliche Angestellten dort streng vorgeschrieben zu sein. Ich bin gewiß, daß Herr Bacher seinem Pudel — so er einen hat — im Sommer den Pelz scheren lassen würde. Eines müßten Fernsehreporter vom Hörfunk gelernt haben: daß der Name eines Interviewten nicht oft genug genannt werden kann. Man dreht oft erst nach der Ansage den Ton beim Apparat auf (auf die Dauer wäre er nicht zu ertragen). Doch auch wenn Namen ausgesprochen werden, geschieht das meistens auf nicht genug deutliche Weise. Einem normalen Gespräch kann man im allgemeinen folgen, auch wenn der Sprecher kein großartiger Rhetoriker ist, da ergibt sich vieles aus der Logik des Gesprochenen. Namen lassen sich jedoch nicht erraten.

Vergangenen Sonntag hatten wir in dem (religiösen) „Wort zum Sonntagabend“ eine Dame, die dessen (des Wortes) nicht einmal in Jen primitivsten Regeln der Grammatik fähig war („Wir nehmen sich...“). Das Fernsehen dürfte niemandem ungeschaut das Mikrophon einräumen, ehe es sich von dessen Sprachbeherrschung überzeugt hat.

Unvergeßlich ein Portisch im Trubel der französischen Präsidentschaftswahlkampagne, dicht umgeben von einer Schar junger, übermütiger Pariser, die ihm allerlei Schabernack spielen, indessen er verzweifelt und besessen sein „Sprücherl“ durchzusagen bemüht ist. Portisch spricht immer im Plural majestatis: schlechte österreichische Leitartiklergewohnheit. Ein Journalist, und so auch ein Fernsehreporter, sollte durch sein „ich“ kundtun, daß er seine eigene Meinung äußert, und es dem Publikum überlassen, zu entscheiden, ob es sie als die ihrige akzeptiert.

Die Albernheit der Show-Sänger, die, während sie beteuern, daß ihr Herz und sonst was bricht, sich krampfhaft ein metallenes Ding vorhalten, an dem ein langes Kabel baumelt. Viel gespannter als ihrem Gesang folge ich ihrer Bemühung, nicht über das Kabel zu stolnern.

Die Kleinheit des Fernsehschirmes veranlaßt manche Regisseure, die Schauspieler ihren Dialog so nahe Nas' an Nas' sprechen zu lassen, daß Schnupfenzeiten sich im Fernsehen besonders katastrophal auswirken dürften. ,.Ich habe Sie schon im Fernsehen gesehen“, sagte Präsident Nixon zu Prinz Charles, als sich die beiden zum erstenmal trafen. Doch zu etwas gut, das Fernsehen.

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