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Die Blind cn

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Sie kamen jede Woche in die kleine Wirtschaft, die unweit eines Parkes lag. Der kleine Park mit den Akazienbäumen hatte etwas von einer vornehmen Ruhe in sich. Er sah die Blinden kommen und empfand bei ihrem Anblick den Frieden, der sich in der frühabendlichen Stunde über die Dächer der niedern Häuser legte. Einige Fenster trugen bereits den Schein der Lampen. Von der Ecke drüben sah das beleuchtete Schild der Wirtschaft die Blinden kommen. Sie selbst konnten es nicht erkennen, aber sie gingen ihm zu ohne eine Spur von Unsicherheit. Sie zogen am Saum des Parkes vorüber, fühlten den feinen Kies unter ihren Schuhen, bogen dann in die Hauszeile ein und querten die stille Straße mit einer seltenen Sicherheit, die aus ihrem Wesen kam. Ja. sie gingen erstaunlich gerade ihrem Ziel zu. Wer nicht ihre erloschenen Augen sah, die wie ausgebrannte Höhlen ins Leere starrten, mochte sie nach ihrem Schritt und Gang für Sehende halten. Sie kamen in der Regel zu viert, eine stille Gemeinschaft durch das Leid ihres Schicksals zusammengefügt, drei junge Männer und ein älterer, der die unauffällige Bevorzugung der andern erfuhr. Sie traten in die Wirtschaft mit einem freundlichen Gruß ein und liebten es, stets an dem gleichen Tisch Platz zu nehmen. Um diese Stunde war die Schänke noch ziemlich unbesucht. Sie setzten sich mit Behagen. Es tat ihnen sichtlich wohl, die Wärme des Ofens zu spüren und in ihre eigene, ganz ihnen gehörige Stunde hineinzugleiten. Der Ältere strich mit den Händen sacht das bunte, gewürfelte Tischtuch glatt. Auch die andern legten die Hände auf, als ob sie sich irgendwie vergewissern wollten, an ihrem Tisch zu sein. Dann sahen sie zu dem Älteren, dessen Ruhe wie ein Licht in den Raum ging. Er saß am Tisch obenan und die andern neigten ein wenig die Köpfe ihm zu, als ob sie von ihm ein Wort oder eine Anweisung erwarteten. So bestellte er im Namen aller das Getränk, das sie selber in die Gläser füllten. Sie wußten genau das Maß und ließen sie bis an den Rand vollschäumen. Kein Tropfen überfloß. Dann tranken sie einander zu mit behaglicher heiterer Miene, stellten die Gläser ab und versanken eine Weile in die Wohltat der Erquickung. Später begannen sie ihr Gespräch. Sie sahen dabei einander aus den toten Augen an und nahmen sich gleichsam die Worte aus dem Munde. Es waren Gedanken über den vergangenen Tag, Dinge des Alltags In einem milden Licht betrachtet, ohne Erregung und Klage,

Nach einer halben Stunde ruft der Ältere die Wirtin. Das Gespräch der Blinden unterbricht. Eine erwartende Pause tritt ein. Sie strecken die Köpfe der Kommenden zu. Die Wirtin schlägt die Brücke in die andere sichtbare Welt. Sie trägt einen Imbiß auf. Die Mahlzeit der Blinden beginnt, eine besondere zusätzliche Freude, die sie sich nach der täglichen Eintönigkeit der Anstaltskost gewähren. Sie essen nicht hastig — nicht mit Gier. Sie speisen. Der Sinn des Geschmackes, der ihnen geblieben, erfüllt sie mit einer Art von Festlichkeit. Sie halten Maß, sie verstehen es zu halten. Es scheint trotz des kärglichen Rahmens eine Art Liebesmahl.'

An den Nebentischen wird es laut. Die Wirtschaft nimmt ihre täglichen Gäste auf. Menschen, die sehen und doch nicht sehen, Zecher ohne Ziel und Maß, Leute mit groben Gebärden und Worten, mit Fäusten wie Hämmer.

Ihre Rede geht lärmend. Man vergißt auf die Blinden, die still geworden sind. Eine rauhe Welle von außen wirft sich mit einem Male an die Ufer ihrer inneren friedlichen Insel —

So sitzen sie noch an ihrem Tisch, aber ihre Hände beginnen sich zu lösen, ihre immer vorsichtigen Hände, die ihre tastenden Augen geworden, streifen über das Tischtuch wie zum Dank für genossene Speise und Trank. Der ältere Mann tastet nach seiner Blindenuhr. Er sagt leise ein Wort zu den andern. Der Lärm in der Wirtsstube wächst. Der Wein brüllt seine groben, nicht immer wahren Worte.

Indes begleichen die Blinden ihre Rechnung. Es ist kein großer gewichtiger Betrag, den sie stets pünktlich auf den Tisch hinzahlen und kaum jemals überschreiten. Sie erheben sich, sagen gute Nacht und gehen blind und unberührt durch Lärm und anhebenden Streit. Sie gehen sicher mit einem Ziel vor Augen, mit einem innern Licht. Ihre Hände schließen die Tür, aus der das Tosen der Sehenden in die Ruhe der abendlichen Gasse dringt. Die Blinden atmen tief. Eine reine winterliche Luft streicht von den nahen Wäldern, über dem kleinen Park liegt schon ein Stück aufgebrochener heimatloser Nacht —

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