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Die Frauen links, die Männer rechts

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Auf ihren Platz in der Kirche hat meine Großmutter immer Wert gelegt. Mir muß der Mund of fengeblieben sein, als ich sie als Bub, ihr unverzichtbarer Begleiter, einmal bei mäßig besetzter Kirche leise, aber bestimmt eine nicht viel jüngere Frau von ihrem eigenen Sitzplatz verweisen sah ...” So beginnt Otto Borst das Kapitel „Die Leute auf dem Schachbrett” in seinem Buch „Alltagsleben im Mittelalter”. Wie auch sonst öfter nähert er sich der „ Alterität”, also der Fremdeheit des Mittelalters, diesmal dem Standesdenken von eigenen Erfahrungen und Erinnerungen her. Wie oft ist es mir bei der Lektüre jenes großartigen Buches vorgekommen, daß ich mit meinen eigenen Erinnerungen einem Mediävisten durchaus als Mittelalter-Zeitzeuge und Gewährsperson dienen könnte. Oder sollte ich meine Erfahrungen mit der Steinmüllerei in der Bauernmühle meines Vaters und mit des Nachbars, des Hans Wimmers, Schmiede der Altertums-, der Stein-und Eisenzeitforschung anbieten? Die Bronzezeit in uns ...

Was das Thema der kirchlichen Sitzordnung betrifft, so ist mir die strikte Trennung nach dem Geschlecht in Erinnerung. Die Frauen saßen links, die Männer rechts. In Weiz in der Steiermark steht an den prächtigen barocken Beichtstühlen jeweils über der linken Tür Weiberseite und über der rechten Männerseite angeschrieben. Die Einteilung stammt, wie ersichtlich, aus jener Zeit, als das Wort Weib noch kein Schimpfwort war, sondern selbst im Ave Maria vorkam, das mit dem „Absterben” statt mit dem nachkonzilia-ren „Tod” endete ... In den Geschichtsbüchern liest man freilich manchmal, daß im ausgehenden Altertum und im frühen Mittelalter das Kirchegehen ursprünglich eine reine Männerangelegenheit gewesen ist und daß erst im hohen Mittelalter die Männer die eine Seite den Frauen eingeräumt und überlassen haben. Wie oft sind heute in der Messe an Wochentagen die (wenigen) Frauen unter sich, von den Männern, außer einem alten Priester, alleingelassen.

Es herrscht durchaus nicht mehr das in der historischen Literatur beschriebene Gedränge an den Portalen. Nicht einmal beim Dom in Worms, wo einst Brünhild und Krimhild wegen des Vortritts in Streit geraten sind. Von Touristen vielleicht. Einen besonderen Verstoß gegen Ordo und Sitzordnung hat sich bekanntlich Ulrich von Lichtenstein geleistet, wie er in seinem „Frauendienst” erzählt. Als Liebesgöttin verkleidet hat er sich auf seiner sogenannten Venusfahrt beim Besuch der Messe in Tervis, das ist Treviso, „natürlich” auf die Frauenseite begeben. Als es zur paece, der sogenannten Pax, also dem Friedenskuß kommt, bittet ihn - oder sie - eine

Gräfin, den risen, das heißt Schleier, vom Gesicht zu nehmen, worauf die Maskerade evident wird. Nach dieser Demaskierung wird gleichwohl herzhaft geküßt, und Ulrich schließt

„Als das Wort Weib noch kein Schimpfwort war...” eine Laudatio auf das Küssen im allgemeinen an. Wer von einer hohen und schönen Frau mit einem rosenroten Mund geküßt wird, wird dies sein Lebtag nicht mehr vergessen ...

Die kleinen Kinder, auch die Buben, saßen so wie der junge Borst bei den Müttern und Großmüttern, so wie ja auch auf den Burgen die kleinen Kinder ausschließlich in der Obhut und Erziehung der Frauen standen, bis sie schließlich zum Stolz der frommen Mütter plötzlich im Pres-byterium in Erscheinung traten, als Ministranten vorerst. Viel Selbstbewußtsein verlieh einem, wenn man sich von den Frauen weg zu den Männern begeben durfte, etwa gar, wenn einen der Vater auf die Empore mitnahm. Diese Empore, eine Art Zwischendeck zwischen dem ebenerdigen Kirchenschiff und dem Chor, der dritten Etage, war absolut und exklusiv den Männern vorbehalten. Eine Loge! Undenkbar, daß dort einmal eine Frau gesessen wäre. Es gibt in der alpenländischen Krippe die Randfigur des sogenannten „Vaterlaßmichauchmitgehn”. Das ist ein kleiner Bub, der sich bettelnd an die Bockschösse des Vaters hängt. Mein Doktorvater, der verstorbene Dialektologe Eberhard Kranzmayer, hat geschrieben, daß die Kirchen-und Theologiewörter in der alten Bauernmundart - im Basisdialekt -fremd geblieben seien, weil man sich gescheut habe, sie anders auszusprechen, als man sie an heiliger Stätte, von der Kanzel herunter ausgesprochen gehört hatte. Das geht laut Kranzmayer bis zur Lautung des Wortes Fleisch, das im Bairisch-Österreichischen Floasch heißen müßte, so wie Geist Goast heißen müßte. Weil aber nun der Geist weht, wo er will, und das Wort Fleisch geworden ist, sei es bei offensichtlich hochsprachlichem Fleisch und Geist geblieben. Vater laß mich auch mitgehn ... Lieber Doktorvater, hierin kann ich dir aber nicht ganz folgen, es fallen mir zu viele urmundartliche Kirchenwörter ein. Das Wort Empore jedenfalls existiert in meiner Mundart in einer Lautung, die bäurischer nicht sein könnte und einem Landfremden nicht zuzumuten ist. Freilich ist richtig, daß die Kirche eine eigene Sprachwelt darstellte. Es war ja sicher auch nicht einfach, einem Bauernkind das sogenannte Schreiten, die liturgische und rituelle Gangart also beizubringen. Ähnliches galt auch vom psalmodierenden Sprechen. Und schon gar vom Latein!

Heute ist alles anders gekommen, und vieles ist besser geworden. Sitzordnungen und andere Ordnungen haben sich aufgelöst. Die Sitzordnung hat der Demokratisierung Platz gemacht. Auch andere Felder wurden geräumt. Schwellen wurden erniedrigt. Es wurden Tore aufgemacht. Man hat abgestandene Luft hinaus- und frische Luft hereingelassen. Die Gottesdienstbesucher sind trotz vieler Erleichterungen und Ermäßigungen aber leider nicht mehr geworden. Kinder sagen selten: Vater laß mich auch mitgehn?! Der Sohn sagt: Ich bleibe daheim, Papa.

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