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Die letzte Fimisdie Krönung

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Was ich jetzt und hier zum erstenmal kundtue, das ist die Geschichte des Landeskanzlei-oberaktuars Virgil Suchy, dem es gelungenn war, das unmöglich Scheinende möglich zu machen, nämlich im Prager Veitsdom jener sieben Schlüssel habhaft zu werden, die die Schatzkammer mit den böhmischen Kroninsignien absperrten, und nächtlicherweile in die Kronschatzkammer zu gelangen. Diese Vermessenheit bezahlte er mit seinem Leben. Aber es war nicht so, daß er etwa die Schatzkammer hätte ausrauben wollen. Vielmehr war Virgil Suchy ein begeisterter tschechischer Patriot, einer, der immer mit Leidenschaft die Krönung Franz Josephs zum böhmischen König als Unum Necessarium gefordert hatte, einer, der erfüllt war von der legendären, ja mythischen Macht jener Kleinodien, in denen die Größe Böhmens zum Ausdruck kam, und der während seines Junggesellendaseins von nichts anderem beseelt, ja besessen war, als diese magischen Symbole zu sehen und zu berühren.

Da er nun ein Bekannter meines Vaters war, der ihm schon während der Studienjahre Nachhilfestunden in Deutsch erteilt hatte, damit er um eine öffentliche Stellung einkommen könnte, wußte der Vater auch über den Landeskanzleioberaktuar Suchy, sein einzigartiges Unterfangen und dessen Ausgang zureichend Bescheid. Die Behörden selbst hatten sich freilich über die ganze Affäre ausgeschwiegen, die ja in der Tat etwas äußerst Beschämendes hatte. Denn daß es einem mittleren Beamten gelungen sein sollte, die berühmten sieben Schlüssel der Hut der obersten Würdenträger zu entlocken, bedeutete ja wirklich eine geradezu siebenfache Unverant-wortlichkeit und war ein Beispiel jener grandiosen, manches Mal liebenswürdig, manches Mal schöpferischen Schlamperei, die, wie man scherzweise versicherte, den Kitt der Doppelmonarchie bildete.

Wie es nun der Landeskanzleioberaktuar angestellt hatte, zu den sieben Schlüsseln zu gelangen, gehört vielleicht in das Kapitel der Magischen Physik, deren Lehre der beharrlichen Konzentration der größten Kräfte im kleinsten Punkt den Endsieg über die beschwerlichsten Hindernisse zuspricht. Hätte der Hagestolz Virgil Suchy, anstatt alle seine Anstrengungen an die sieben Schlüssel zu wenden, mit gleichem manischem Eigensinn etwa dem Krebsbazillus oder der Quadratur des Kreises mit Zirkel und Lineal nachgestrebt, so hätte er, wie mein Vater behauptete, dem Nobelpreis nicht entgehen können. Er aber hielt für seine Lebensaufgabe die Erreichung der sieben Schlüssel. Durch allerlei geschickte Vorspiegelungen, stichfeste Referate über die Notwendigkeit bautechnischer Reparaturen, Erfordernisse der zeitweiligen Säuberung, der zuverlässigeren und würdigeren Unterbringung der Kostbarkeiten, der Kontrolle der Temperatur- und Feuchtigkeitsbalance der Vitrinen, der wissenschaftlichen Unerläßlichkeit historisch bedeutsamer Messungen, der genauen Bestandsaufnahme der Juwelen sowie der Karätigkeit des Goldes und was sonst noch eine exakte realistische Phantasie an triftigen und durchaus legal scheinenden Gründen für das Unnötige und LInerlaubte zu erzeugen versteht, brachte es Suchy dazu, vorgesetzte und vorgesetzteste Stellen, sogar die Wiener Kabinettskanzlei, von der Dringlichkeit der Überprüfung der Kronschatzkammer zu überzeugen und die Einzelaktionen klüglich so konvergieren zu lassen, daß endlich die sieben. Schlüssel am Tag vor der geplanten Öffnung sich in der Panzerkasse des Oberstlandmarschalls befanden. Es war zwar vorgesehen, daß alle sieben Würdenträger sich persönlich zu dem immerhin wichtigen Amtsakt einstellen sollten, doch lag der Landesgerichtspräsident mit Halsweh zu Bett, der Korpskommandant hatte eine Inspektionsreise antreten müssen, der Oberstburggraf mußte zur Hochzeit seines ältesten Sohnes nach der Steiermark reisen, und überhaupt hatte man das Ganze nach so vielem Hin und Her auf die leichte österreichische Achsel genommen und so auf jeden Fall die Schlüssel beim Oberstlandmarschall vereinigt, womit der spitzfindige Suchy offenbar gerechnet hatte. Übrigens sollten ja die beabsichtigten fachlichen Untersuchungen und Maßnahmen mehrere Tage dauern, und die Spitzen der Behörden konnten während dieser Zeit ohnehin nicht unaufhörlich den Zugang zur Kronschatzkammer überwachen. Das sollten, wenn es soweit war, die vom Statthalter bestimmten zivilen Aufsichtsorgane zusammen mit den vom Korps kommandanten gestellten Mililäiposten besorgen. Aber einer verließ sich auf den anderen, der Überwachungsdienst war noch nicht reguliert worden, solche Fragen mußten auf dem Amtsweg erledigt werden, dessen Barrieren und Hürden der Landeskanzleioberaktuar geschickt zu vermehren wußte.

Die Panzerkasse mit den Schlüsseln aber befand sich in der Antichambre des Oberstlandmarschalls. Und dies war auch das Zimmer, in dem Suchy arbeitete, der außer seinem Chef als einziger die damals noch ziemlich primitive Formel des Kombinationsschlosses kannte. An jenem verhängnisvollen Tage nun, der solchermaßen die vereinigte Kronschlüsselgewalt in Suchys verruchte Hände legte, begab sich dieser nach den Amtastunden in den Dom, nahm an der Litanei und dem Segen teil und ließ sich sodann in der riesigen gotischen Halle, die voll ist von unübersichtlichen Winkeln, Altären, Sarkophagen, Gebetstühlen und Monumenten, unbemerkt einschließen. Bis zu diesem Augenblick ließen sich die Handlungen Suchys mit ziemlicher Genauigkeit rekonstruieren. Was er nachher tat, ist nur bruchstückweise deutlich geworden, die Behörden versuchten es zu vertuschen und zu dementieren, als Legende hinzustellen, aber in einem Lande mit so viel Gegensätzen und Opposition wird höchstens das allgemein Bekannte vertraulich und geheimgehalten, das eigentlich Geheime aber tritt meist mit fletschenden Zähnen an den Tag.

Als am folgenden Morgen die hohen Herren sich in der St.-Wenzels-Kapelle einfinden sollten, erschienen zunächst nur drei Würdenträger. Drei hatten sich entschuldigen lassen, und der Oberstlandmarschall kam mit großer Verspätung und in höchster Aufregung, um mitzuteilen, daß seine Panzerkasse geöffnet, die sieben Schlüssel verschwunden und der Landeskanzleioberaktuar Virgil Suchy nirgends auffindbar sei.

Man kann sich die bekümmerten Gesichter des Kardinals und des Statthalters bei diesen Eröffnungen ebenso vorstellen wie das wahrscheinlich schadenfrohe des Primators, der den Oberstlandmarschall nicht leiden konnte. Alle drei hatten bis dahin die alte Eisentür zur Schatzkammer nicht näher in Augenschein genommen, denn sie schien verschlossen wie immer, und der Statthalter hatte die Wartezeit damit verbracht, sich über den Korpskommandanten zu entrüsten, der versäumt habe, Wachtposten anzuordnen. Über seine eigene Verpflichtung, zivile Aufsichtsorgane zu bestimmen, schwieg er sich weislich aus.. Bei der Schreckensnachricht des Oberst-, landmarschajls^rannten nun alle, zunächst nach, der Ecke zur Eisentür und mußten feststellen, daß diese keineswegs, wie sie geglaubt hatten, verschlossen, sondern daß sie nur angelehnt war.

Mit einem Entsetzen, das sogar den Bürgermeister mit einschloß, stiegen die vier Herren im Gänsemarsch die uralte dunkle Wendeltreppe zur Schatzkammer empor, kalten Schweiß auf den Stirnen, an den Gliedern zitternd und mit intermittierendem Puls. Die Vorstellung des unzweifelhaft scheinenden Raubs der Reichskleinodien erfüllte sie nicht nur mit grundsätzlichem und vaterländischem Abscheu, sondern auch mit persönlichen Ängsten. Der Kardinal und der Primator-Bürgermeister waren noch am besten daran. Sie konnten von niemandem abgesetzt werden. Aber der Statthalter und der Oberst-landmarschaH mußten die a'lerärgsten kaiserlichen Donnerkeile befürc! :n, der Skandal würde weltweite Ausmaße annehmen, ihre Namen würden der Lächerlichkeit anheimfallen, ja sie möchten arg zu tun haben, sich reinzuwaschen, wenn böse Zungen ein an sich schon kaum verzeihliches Versäumnis als verräterische Mitbeteiligung an einer politischen Untat entstellen würden. Das eine Stockwerk der Wendeltreppe erschien unendlich lang, und da der dicke unt^pfwaöhende ObeKtkndrnarschall, am schwersten betroffen und von Jammer gebeugt, als Vfrm Ä r*ta.. vöiliof licfi* der enge und steile Aufstieg langsamer und quälender, als es der schlanke und elegante Kardinal gewünscht hätte, der als ehemaliger Reiteroffizier mit etlichen Sprüngen zum Ziel gelangt wäre. Auch der Statthalter, wegen seiner hohen Figur vom Volke „der lange Franzi“ genannt, konnte seine Ungeduld kaum bezwingen, während der Bürgermeister eher getrost schien, als letzter zu gehen, denn er litt an Schwindel.

Aber das staunenswerte Bild, das die vier Würdenträger in der Kronschatzkammer erwartete, bot sich ihnen noch immer früh genug. Auf dem einzigen Möbelstück des Raumes, einem alten Hochsitz mit verschossenem, bordeauxrotem Sammetpolster, hockte in sich zusammengesunken die Gestalt des Landeskanzleioberaktuars Virgil Suchy. angetan mit der Dalmatika der böhmischen Könige, die Krone Karls IV. auf dem Haupt und das Zepter in der verkrampften Rechten, während der Reichsapfel der anderen Hand offenbar entfallen und in eine Ecke der Kammer gerollt war. Daß Suchy tot war, daran konnte niemand zweifeln, seine gebrochenen Augen schauten stier in der Richtung des Reichsapfels, dem sein verendender Blick gegolten haben mußte, seine Zunge bleckte höhnisch gegen die Würdenträger, und auf seiner verzerrten Fratze war ein letztes unheimliches Lachen erfroren. Kein Wunder, denn seine Situation war einzigartig genug, um so tragisch zu sein, daß sie den plötzlichen Tod bewirkte, und derart komisch, daß er selber bei seinem äußersten Gedanken, er, Landeskanzleioberaktuar Virgil Suchy, sei der letzte gekrönte Tscheche, in ein fanatisches, sein Antlitz endgültig prägendes Gelächter ausbrach. Es schien, als vernehme man dieses Gelächter noch immer in dem Raum, ja vielleicht hatte dieses groteske Gelächter schon bei Suchys Eintritt in die Schatzkammer die Glaskästen gesprengt und sich dann, während er sich einkleidete, nur ins Grenzenlose gesteigert. Unter dem königlichen Ornat aber hingen die kurzen Beine Suchys in grauschwarz gestreiften Hosen mit gelben Schnürschuhen zu Boden., ,Er ist tot“, sagte der Oberstlandmarschall. „Es scheint nichts zu fehlen“, erklärte der Statthalter. „Die Glaskästen lassen sich reparieren“, stellte der Bürgermeister fest. „Am besten, wir reden nicht darüber“, riet der Kardinal. Und so geschah es auch, so daß bis heute von dieser „Krönung“ nichts an die Öffentlichkeit drang.

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