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Die Regentschaft der Rose

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Der Duft ist die Sprache der Rose, ihre süßen Worte lassen sich zwar nicht genau niederschreiben, doch sie sind gut zu verstehen, Liebende enträtseln sie am leichtesten, fassen sie in ihrer Erleuchtung auch oft in Verse. Und der Duft hat eine tragende Stimme, er eilt der Rose weithin voraus, er meldet sie, ein zarter vornehmer Bote seiner Herrin, die eine wahre Königin ist.

Er ist ihr sogar aus den Zaubergärten Persiens nach Europa vorangeflogen, er versteckte sich zuerst in Fläschchen und Dosen, schlich sich ein, er verstand es, sich in ölen und Salben zu verkriechen, plötzlich aber hervorzusteigen als ein berauschender Geist und die überraschten Körper der Empfänger zu umhüllen, ihre Gemächer mit seiner schmiegsamen Anwesenheit zum Empfang zu überreden. Auf einmal war er überall, und von dem Augenblick seines Fühlbarwerdens an begann er von ihr zu erzählen, von der Rose, seiner schönen unvergleichlichen Herrin.

Er sprach immerwährend von ihr, er wußte Geschichten, die aus Märchen geliehen schienen und die doch von allen gern für Wahrheit genommen wurden, die ihnen in die Träume folgten und an der Sehnsucht mitbauten. Er flüsterte von dem Geheimnis ihrer Geburt und daß aus ihr einmal ein weibliches Wesen entsprang, das einen großen Glanz ausstrahlte und daher auch von einem der mächtigsten Götter zur Frau gewählt wurde. Er schilderte die Gestalt der Rose, die seltsame Pracht ihrer Gewandung, das unergründliche Spiel ihrer Farben. Am liebsten vernahm man aber die Kunde von der Nachtigall, die sich in die Rose mit den hundert Blättern verliebt hatte und Glück und Schmerz mit tausend Stimmen (das beschwor er) vorzutragen wußte.

So ging es lange. Der Duft auf seiner Wanderschaft erzählte und entzückte immer wieder. Doch eines Tages — wie war es nur geschehen? — war die Rose selbst da. Wohin sie kam, erkannte man sie sogleich, der Duft hatte sie ja genug oft in alle Ohren gemahlt, und diese hatten das Bild den Augen weitergegeben. Sie war von weit übers Meer dahergefah-ren, aber bald vergaß man darauf, man nahm sie ganz zu eigen, es geschah sogar, daß sich Götter und Menschen um sie stritten. Aphrodite, die einst auch vom Meere her erschienen war, wollte einige Tropfen Blutes für die Rose hingegeben haben, doch von Adonis behauptete man das gleiche. Die ihnen nachgeborenen zahlreichen Gelehrten vermochten nicht recht zu entscheiden, wem sie ihr kurzes Leben eigentlich zu verdanken habe.

Die Rose ward die Königin, die Herrscherin von Europa, doch sie benahm sich nicht herrisch und stolz, sie blühte in den Palästen und königlichen Lustgärten, sie wohnte auch bei den niederen Hütten der Bauern, umringte sie mit dichten jubelnden Büschen, hielt die bösen Geister von ihnen fern. Sie vergaß ganz ihre Würde und tummelte sich auch über die Wiesen, überfüllte sie mit Knospen. Manche meinten, daß Eos oder Phoebos es seien, die täglich die Blumen ausstreuen. Durch die Rosenfelder hin aber schritten die Chariten, es schritten auch Burschen und Mädchen aus dem Volke, pflüdeten, wanden sich Kränze und schmückten sich damit. Und wenn unter ihnen ein Dichter war, nahm er ein Rosengewinde, hing es an die Tür seiner Geliebten und fügte ein Gedicht hinzu. (Wohin sind die liebenden schwärmerischen Dichter und wohin die empfindsamen bescheidenen Mädchen?)

Uberall begegnete man der Rose. Man streute sie über Wege, auf die Wellen des Meeres und des Hausbades, streute sie über die Fußböden und Speisetische, man füllte Kissen mit den duftenden Blättern, denn jeder wollte auf Rosen gebettet sein. Um das wunderbare Symbol des Glücks selbst der Zeit zu entrücken, bildete man die kostbare Blume auch nach, in Silber und in Gold, trug sie singend in die Festlichkeit feierlicher Stunden. Man trank auch Rosenwein und das Mädchen, das ihn kredenzte, hieß wahrscheinlich Rhodope, und jedes Mädchen wollte mit einer Rose verwechselt werden, von den Nymphen aber wußte man gewiß, daß sie Rosengesichter besitzen. Die Kundigen hatten es auch erfahren, daß der Zephyr die Lippen der Rose öffnet und daß ihr wertvollster Schmuck der Morgentau ist. Sie sammelten ihn in der frühesten Stunde und benetzten sich damit die Augen.

Die Rose bleibt siegreich durch die Jahrhunderte. Sie findet Eingang in die Dome, sie rankt sich in die Kapitale der Säulen, sie umgibt den Sitz Marias, sie wird das Zeichen der Tugend und vom Papst geweiht, sie blüht in den Psaltern, und ein Prediger weiß viel Sinniges über die weißen und die roten Rosen zu sagen. Die Minnesänger kennen sie wohl, und auch die Nachtigall ist der Rose getreu gefolgt, schmachtet sie an.

Auch heute noch wird die Rose bewundert und geliebt, aber die Gärten, in deren Üppigkeit sich ein Mensch ertränken konnte, gibt es nicht mehr, und die Gelaae. für die an die hunHprttanspn Blüten geopfert wurden, um die Berauschung auf das höchste zu steigern, sind dahin und vergessen. Viele schöne Arten werden nur noch selten gepflegt, weil sie besonderer Fürsorge bedürfen. So ist auch der Duft schwächer geworden, man könnte sagen, er ist gealtert, und die Schönheit erstarrt mitunter in einer großen, aber leeren Geste. Wo sich jedoch Gärten mit Rosen noch zeigen und öffnen, strömen die Menschen hin, sie warten jeden Frühling auf den Genuß. Leider werden sie am Abend zum Leid der Besucher meist geschlossen, gerade zu der Zeit, in der die Duftgespräche immer lebhafter und stärker werden, in der sich auch die Nachtigall einfindet —, wenn sie nicht die Nachbarschaft oder gar ein rhythmischer Lärm (den Unerfahrene für Musik halten) vertreibt.

Der Gärtner eines Rosenparkes, ein recht verträumter Blumenfreund, verriet mir, was sich nachts in seinem Garten abspielt. Wenn die Dunkelheit voll ist und nur der Mond die Wege beleuchtet, wenn die Duftströme wie weiche Kissen in der Luft liegen und sich die Wangen ihnen zuneigen —, erscheinen lautlos die ergebensten Verehrer, verbeugen sich vor der Rose, erinnern sich ihrer Verse und sprechen sie ihr leise ins Gesicht. Hafis und Goethe stehen nebeneinander, Andersen und Rilke, Sappho und Martial. Auch Anakreon ist unter den anbetenden Gästen, und er erzählt gern die Geschichte von Amor, der eines Morgens im Tau der Rose ein Bad nehmen wollte. Als er in die innerste Schale tauchte, fand er dort, eine schlafende Biene. Sie fuhr empor und stach ihn. Amor schrie über den zugefügten Schmerz, stürzte klagend und weinend zu seiner Mutter. Frau Venus tröstete, meinte aber auch: Wenn schon so ein kleiner Stich solche Wirkung fut, welche Wunde mag dann erst dein Pfeil zufügen, o Amor!

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