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Die Sprache finden

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Eugen Gomringer gilt als Begründer der „konkreten Poesie“, eine Bezeichnung, die inzwischen zum Fachausdruck geworden ist, nicht nur für gewisse Tendenzen der Wiener Gruppe (Bayer, Achleitner, Wiener, Rühm), sondern auch für Heißenbüttel und Mon oder die brasilianische Noigandres-Gruppe. Gomringers Konstellationen, die 1953 in der Spiral-Presse, Bem erschienen, setzten den Versuch, der in den zwanziger Jahren schon die Dadaisten beschäftigt hatte, fort, durch neue Konstellationen, durch Herauslösen des Wortes aus dem causalen Zusammenhang, durch Reduktion auf seine materiellen, d. h. konkreten Beziehungen, noch unerforschte Dimensionen der Sprache zu entdecken. Eine Idee, die die Autorengeneration nach 1945 faszinierte und die angesichts der immer mehr um sich greifenden Internationalisierung und Vereinfachung der Sprache reizvoll war. Die Möglichkeiten dessen, was gesagt werden konnte, schienen ausgeschöpft. Besitzt diese Idee heute noch Aktualität? Furche-Mitarbeiter Klaus Peter Dencker sprach mit Eugen Gomringer anläßlich der Veröffentlichung seines Buches „Worte sind Schatten“, das im Herbst bei Rowohlt erschien.

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Eugen Gomringer gilt als Begründer der „konkreten Poesie“, eine Bezeichnung, die inzwischen zum Fachausdruck geworden ist, nicht nur für gewisse Tendenzen der Wiener Gruppe (Bayer, Achleitner, Wiener, Rühm), sondern auch für Heißenbüttel und Mon oder die brasilianische Noigandres-Gruppe. Gomringers Konstellationen, die 1953 in der Spiral-Presse, Bem erschienen, setzten den Versuch, der in den zwanziger Jahren schon die Dadaisten beschäftigt hatte, fort, durch neue Konstellationen, durch Herauslösen des Wortes aus dem causalen Zusammenhang, durch Reduktion auf seine materiellen, d. h. konkreten Beziehungen, noch unerforschte Dimensionen der Sprache zu entdecken. Eine Idee, die die Autorengeneration nach 1945 faszinierte und die angesichts der immer mehr um sich greifenden Internationalisierung und Vereinfachung der Sprache reizvoll war. Die Möglichkeiten dessen, was gesagt werden konnte, schienen ausgeschöpft. Besitzt diese Idee heute noch Aktualität? Furche-Mitarbeiter Klaus Peter Dencker sprach mit Eugen Gomringer anläßlich der Veröffentlichung seines Buches „Worte sind Schatten“, das im Herbst bei Rowohlt erschien.

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FURCHE: In der Schweiz gab es einmal eine günstige Konstellation: 1916 in Zürich im Kabarett „Voltaire“; gab es 1951 im Berner Freundeskreis (Diter Rot, Marcel Wyss und Eugen Gomringer) eine ähnlich günstige?

GOMRINGER: Nett, daß Sie darauf anspielen. Ich glaube aber fast, das ist etwas zu hoch gegriffen mit dem Dadaismus. Es war eine günstige Konstellation damals in Bern; hingegen war es keine Endsituation wie 16, 17, 18, nach dem Krieg; es war eher eine Situation nach einem Krieg, und wir fühlten ein großes Vakuum nach 45, man konnte wieder reisen, aber z. B. in der Literatur waren immer nur die älteren Dichter da, und wir mußten uns nach den älteren orientieren. Wir sind direkt nach vorne gesogen worden.

FURCHE: Statistisch gesehen, fällt auf, daß Sie in der Regel kurze Texte schreiben. Mit Sicherheit sind es keine Versge- dichte, vielleicht auch-keifte'-Zeilengedichte; sind es überhaupt noch Gedichte?

GOMRINGER: Ich nenne sie Konstellationen.

FURCHE: „Konstellation" und „Konfiguration“ gab es schon im Dadaismus.

GOMRINGER: Das ist richtig. Ich glaube, es gibt ein Gedicht von Hans Arp mit dem Titel „Konstellation“. Ich muß Ihnen offen sagen, darauf bin ich erst gekommen, als ich den Begriff Konstellation für mich schon erarbeitet hatte. Ich glaube, es passiert immer wieder, daß man für sich etwas erfindet, was vorher schon lange da war. Doch das stört mich nicht weiter.

FURCHE: Könnte man nicht so sagen: die Dadaisten bemühten sich um eine Sprachzertrümmerung, während Sie genau das Gegenteil praktizieren, daß aber eine Gemeinsamkeit darin besteht, wegzukommen von der gängigen Literaturauffassung?

GOMRINGER: Richtig. Ich bin hier ein Kind der ganzen Bewegung der konkreten Kunst Deshalb habe ich den Namen „konkrete Poesie“ aus dieser Richtung für mich genommen. Die konkrete Kunst setzte eigentlich das Mittel, also das Medium, direkt ' als Botschaft hin, um das ganz modern zu sagen. Wir brauchen eigentlich keine Abstrahierungen von außen, von irgendwelchen Realien. Natürlich ist die Sprache immer eine Abstraktion — da ist es nicht so rein wie in der Malerei. Wenn ich ein Bild nur aus der Farbe Blau mache, dann ist das ein konkretes Bild über oder besser mit der Farbe Blau. Wenn ich „blau“ dagegen schreibe, gibt es immer einen Bezug, oder ich erwecke Assoziationen mit „blauen Ereignissen“. Aber wir haben ähnlich versucht, nur mit der Sprache, mit den Materialien der Sprache, etwas aufzubauen, ein Ereignis zu gestalten, das nur im sprachlichen Bezug bleibt. Dabei sollen die semantischen Stufen (Vieldeutigkeit eines Wortes) ganz geschickt, auf alle Fälle bewußt angewendet werden.

FURCHE: Im Begriff „konkrete Poesie“ gibt es noch das Wort „Poesie“. Heißt das, daß Sie noch „dichten“?

GOMRINGER: Es ist ein Versuch, möglichst wegzukommen, sich Ge- schichten erzählen zu lassen, oder mit der Sprache so zu tun, als wäre sie das Abbild überhaupt der realen (Ereignisse. Das ist sie eben nicht. Wir wissen ganz genau, die Sprache besteht aus soundsoviel Buchstaben oder soundsoviel Zeichen und ist eine Welt für sich. Heutige Schwierigkeiten (etwa in der Politik) sind in der Regel Sprachschwierigkeiten, weil sich die Sprache nicht mit den Vorgängen zwischen den Realobjekten deckt. Die Sprache ist auf alle Fälle ein eigenes Gebiet, Denkgebiet. Es ist berechtigt, ästhetische Informationen zu gestalten und in der Sprache zu kommunizieren. Dabei möchte ich mit der Sprache „finden“. Jede Konstellation sollte eine kleine Erfindung sein. Wenn Sie wollen, bin ich damit immer Dichter, Poet.

FURCHE: Ist das nun aber ein Weg, Texte für breite Leserschichten zugänglich zu machen? Läuft die konkrete Poesie nicht Gefahr, ein Tummelplatz für Eingeweihte zu werden?

GOMRINGER: Ich meine, auf die erste Frage mit „ja“ und auf die zweite mit „nein“ antworten zu müssen. Ich verwende ja nur Vo- kabeln,dte"bekannt'stad.Ich bin nicht wor.tschöpferisch wie etwa Emst Jandl. Ich komme fast naiv zur Dichtung. Ich verwende Farben und Wörter wie Haus, Hund, Baum, Kind, Frau — Wörter, die man kennt. Aber ihre neue Verwendung, ihre Zusammenstellung

In neuen Strukturen, das finde ich, ist das eigentlich Interessante. Es ist ein Kampf gegen die verbrauchte Metaphorik, gegen die verbrauchte Syntax, gegen das verbrauchte Gedicht an sich. Wenn ich Haus sage, meine ich Haus und nicht anderes darüber oder dahinter. Ich nehme das einzelne Wort als Baustein, als Objekt, und darum ist zumindest das Vokabular immer allgemeinverständlich. Neu ist die Konstellation dieses Vokabulars, die — zugegeben — schockieren kann, aber das ist, das Lesevergnügen, das ich meinem Leser gönnen möchte.

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