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Die Welt Ferdinand Raimunds und die Welt Graham Greenes

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Was an den Stücken Ferdinand Raimunds immer wieder fasziniert, ist ihre Unbedenklichkeit, mit der sie alles, Scherz und Erqst, Geister und biedere Leute durcheinandermengen. Diese Unbedenklichkeit ist aber beileibe keine Unbeschwertheit. Raimund schuf aus einem reinen, kindlichen Gemüte. Alles, was er mit seiner Liebe umfaßte, was ihm gut und wahr schien, stellte er auf die Bühne, ob es nun zusammenpaßte oder nicht. Für ihn paßte es zusammen, denn es war aus demselben Geist geboren. Ebenso wie seine naive Unbedenklichkeit fasziniert uns die Freude an seinen Figuren: an Bustorius, dem Zauberer aus Warasdin etwa, den Richard Eybner jetzt im Burgtheater so köstlich lebendig werden läßt, oder an Ajaxerle, dem unbeholfenen Magier aus Donaueschingen, mit dem sich Franz Böheim mit Hofknicks vorstellte. Sie sind so lebendig, fahren auf Wolken herum und haben doch im Grunde gar keine Berechtigung zu leben. Feen, allegorische Figüren und allerhand Menschen leben auf derselben Ebene, im selben Reich. Alles liegt in herrlicher Nähe des Kitsches, so barock und burlesk ist es. Aber es befindet sich noch in jenem unberührten Stadium, da es überhaupt noch keinen Kitsch gibt, da noch keine Grenze der Erkenntnis gezogen wurde, die uns scheiden läßt: dies ist abgenützt und jenes neu; dies ist Kitsch, jenes geht noch; dies ist auf dem Theater nicht möglich, jenes schon. Alles ist möglich, alles ist neu. Das Wunder wird Alltag. Raimund war ein Theatermann; aber auch seine Theatereffekte haben etwas Kindliches, Rührendes an sich, und auch in ihnen findet man den tragischen Grundzug wieder, der durch sein ganzes Leben ging.

Raimunds Welt wurde in der vergangenen Woche in zwei Neuinszenierungen lebendig: im Burg theater durch den ..Bauer als Millionär" und im Neuen Theater in der Scala durch den ..Verschwender". Die Inszenierung Adolf Rotts, mit der sich der neue Burgtheaterdirektor als Hausherr vorstellt, hat etwas von dieser faszinierenden Unbedenklichkeit. Auch sie wirbelt durcheinander, freut sich an der Lebendigkeit. der Figuren, der Menschlichkeit der Geister, bringt mit den dekorativen Bühnenbildern Fritz Tudtmanns, die überbunte Mannigfaltigkeit des Märchenzaubers auf die Bühne und ist in Hermann Thimig als Fortunatus Wurzel echter Raimund.

Graham Greenes Welt auf die Bühne zu bringen, ist ein Wagnis. Sie braucht die epische Breite, um vor uns ihre Vorstadtgerüche entstehen und ihre unbarmherzige Sonne niederbrennen zu lassen. Ein junger Priester hat nun dies Wagnis unternommen, aus Greenes Roman „The End of the Affair" (in der deutschen Fassung als „Der Ausgangspunkt" bekannt) ein Theaterstück zu machen. Das ist ihm nicht gelungen. Es wurde nur ein Hörspiel daraus, das seinen epischen Charakter nicht verleugnen kann. Aber Greene, der die Bühnenfassung autorisierte, und sie einer kleinen Wiener Bühne großzügig zur Uraufführung überließ, liebt das Experiment. So haben wir ihm für den Abend im kleinen Theater im Palais Esterhazy zu danken, der uns in dem „Ende der Affäre" (man hatte wieder auf den Originaltitel zurückgegriffen) mit einer Seelendramatik konfrontiert, die nur erschüttern kann. Auch wenn die Szene, in der Maurice Bendrix durch das Tagebuch seiner Geliebten erfährt, daß sein eigentlicher Nebenbuhler, den er nicht überwinden kann, Gott ist, gar nicht enden will — ist sie erschütternd, so wie ein Satz auš ihr erschüttert: „Die Liebe endet nicht.' bloß weil wir einander nie mehr sehen.” Ein Satz, einfach von der Bühne gesprochen, kein Theater drumherum — darin, in dieser schlichten Herausarbeitung des Wesentlichen, liegt das große Verdienst dieses Experiments. Daran, daß es im zweiten Teil ins Aeußer- liche verflacht (Greene versucht, die Existenz Gottes durch durchsichtig konstruierte Wunder vor Augen zu führen, anstatt sie in der Seele zu begreifen), trägt es keine, Schuld. Die Aufführung, unterstützt durch die angedeuteten Bühnenbilder Wolfgang Mosers, unterstrich das Hörspielhafte. Peter Weihs als Maurice Bendrix und Anton Gaugl als Henry Miles skizzierten treffend Menschen aus der Welt Graham Greenes; Ruth Birk als Sarah Miles blieb farblos, doch unaufdringlich. So kommt ein Abend zustande, der durch die Begegnung mit einigen Worten aufrührt und die Gewißheit mitgibt, daß es Gnade gibt. Gnade für uns alle.

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