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Dürr und matt

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Hat die kühne christliche Deutung des bekannten Züricher Kritikers Martin Schlappner recht, wenn sie in Friedrich Dürrenmatts makabrer Farce „Die Ehe des Herrn Mississippi“, vom Dichter nunmehr selbst für den Film adaptiert and von dem Deutschen Kurt Hoffmann in einen Schweizer Film übertragen, die Hoffnungslosigkeit sieht, das Leben zu ändern, wenn die Gnade fehlt? Man könnte zur Bestätigung Dürrenmatts Allegorie der Gnade, mit der die Menschen nichts anzufangen wissen: „Ein Engel kommt nach Babylon", heranziehen: man könnte , auch, um die groteske Tarnkappe der Dürrenmattschen Komödien zu erklären, seine Meinung in den vor sechs Jahren veröffentlichten „Theaterproblemen“ anführen: Die Tragödie setze Schuld voraus, „aber Schuld gibt es nur noch als persönliche Leistung, als religiöse Tat. Uns kommt nur noch die Komödie bei. Unsere Welt hat ebenso zur Groteske geführt wie zur Atombombe“. In Dürrenmatts entzaubertem Theater mischen aber noch andere Karten als christliche Revolution mit: Des Dichters Großvater war Satiriker, der Vater Pfarrer, aber die Väter seines literarischen Werkes sind Nestroy, Wedekind, Brecht und Wilder. Ihre Vielfalt und unorganische Erbmasse verstellen die Grundidee auch in der „Ehe des Herrn Mississippi", der Geschichte dreier Weltverbesserer, eines Anwalts des „Gesetzes Mosis“, der am Ende ins Irrenhaus verfrachtet wird (O. E. Hasse), eines aus der Linie biegenden Bolschewisten, der von seinen Leuten liquidiert wird (Martin Held), und eines blassen, weichen Christen, der an der Caritas bankrott macht (bezeichnenderweise die schwächste und mit Hansjörg Felmy schwächst besetzte Rolle des Films), Sieger auf dem Schlachtfeld bleiben der politische Karrierist (Charles Regnier) und die mit sanften Pfoten männermordende Lulu-Anastasia (Johanna v. Koczian). Was aber ist denn nun eigentlich die Grundidee? Überraschend hat der Dichter den Schwerpunkt der Bühnenkomödie, den christlichen Arzt, auf den Generalstaatsanwalt verlegt und nunmehr ihm den Aufschrei des für wahnsinnig Erklärten am Schluß in den Mund gelegt: Die Welt muß geändert werden, die Welt muß geändert werden, die Welt muß Wahrscheinlich aber ist auch diese Gewichtsverlagerung nur eine Tarnung, und Dürrenmatts letzte Maxime muß in seines Revolutionärs nonkonfor- iBHSttetJ jr/riiesen („l ft eh sijms werden: Man. hätte es „somit, nicht mit verschämtem Christentum, sondern mit einer Art dürren und matten geistigen Trotzkismus zu tun, wofür auch andere Belege in Dürrenmatts bitteren, sarkastischen Gesellschaftskritiken sprechen. Der Film ist intelligent inszeniert und gut, teilweise sehr gut gespielt. Das bleiche, scheppernde Knochengerüst der ausgeklügelten Konstruktion ist trotzdem nicht Fleisch geworden, und die ernsten Einwände gegen das verwirrende Weltbild sind bei aller Achtung vor dem kritischen Mut des Dichters nicht zu übersehen.

Ungewöhnlich in jeder Hinsicht ist der holländische Film „Das Dorf am Fluß“, der in der Originalfassung in Wiens eigentlichem Art-Kino, dem Burg- Kino, läuft. Es sind Geschichten aus einem brabantischen Dorf an der Maas, in deren Mittelpunkt ein seltsamer „Heiliger", der Dorfarzt, steht. Die Anekdoten sind derb und düster, immer an der Grenze des Tragbaren, so bei der Totenwache der versoffenen Beter, wie auch sonst ein bisher nur in schwedischen Filmen bemerkter heimlicher antiklerikaler Zug genüßlich am Grunde des Films wuchert. Die Bilder sind Gemälde, der großartige Hauptdarsteller, Max Croiset, erinnert an den Film-Pasteur Paul Munis.

Nach Tschechowas „Die Dame mit dem Hündchen“ weckt ein russischer Film den Plüsch und Samt verwirrender Ehebruchstragödien aus der Zarenzeit. Der Regisseur hat sich in das alte Milieu verliebt, worin er Beachtliches leistet, aber dabei die Moral der großen Russen an die Wand gedrückt. Sie wußten noch im tiefsten Sündenfall von Gnade und Auferstehung.

F i 1 m s c h a u (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Österreich): II a (Für alle; für Kinder gewisse Vorbehalte) : „Ben Hur" — III (Für Erwachsene und reifere Jugend): „Der Präsident“ , „Mariandl“, „Adieu, leb wohl, good bye“, „Der Richter von Zalamea“ — IV (Für Erwachsene): „Die Dame mit dem Hündchen“, „SOS für Flug T 17", „Die Liebesnächte des Herkules“, „Alarm im Tunnel“, „Die gnadenlosen Vier“ — IV a (Für Erwachsene mit Vorbehalt): „Die Ehe des Herrn Mississippi“ — IV b (Für Erwachsene mit ernstem Vorbehalt): „La Cucaracha — Sturm über Mexiko“ — V (Abzuraten): „Alle Griffe sind erlaubt“. — = empfehlenswert, = sehenswert.

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