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Ein Häuptling für die Hasen-, einer für die Antilopenjagd

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Die Washo, ein kleines Indianervolk, lebten im Grenzgebiet zwischen Kalifornien und Nevada. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts kamen sie erstmals mit den nach Westen vorrückenden .weißen Amerikanern in Berührung und in fünf Generationen wurde das Volk der Washo vernichtet. Ihnen widmete Thomas Sanchez seinen Roman „Rabbit Boss”.

Der Autor hat kein geschichtliches Werk wie Dee Brown mit „Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses” geschaffen. Fünf Generationen der Washo kommen zu Wort, die 120 Jahre amerikanischer Pioniergeschichte aus dem Blickwinkel des Indianers erfahrbar machen. Sanchez taucht in die Welt der Washo ein und macht sich die blumenreiche, phantasievolle Sprache der Indianer zu eigen, läßt den Leser übergangslos zwischen Traum und Realität pendeln und so der indianischen Denkweise näherkommen.

Der Indianer des ersten Kapitels ging noch „die alten Wege”, als der „Große See am Himmel” noch unberührt war von denen „mit Haut wie Schnee”, als sein Volk Natur und Tier noch als Freund begriff und nur einmal im Jahr „Pelleu”, den Hasen, jagte. Nur dann war er Häuptling, und zwar Häuptling der Hasen (Rabbit Boss); sein Volk kannte sonst keinen Anführer.

Die Häuptlinge waren Leiter der Jagd nach einer bestimmten Tierart. So leitete der Hasen-Häuptling die Hasenjagd und der Antilopen-Häuptling die Antilopenjagd. Sie waren diejenigen, die schon Tage vor der Jagd in ihren Träumen Kontakt zu den Tieren aufnahmen und so deren Standort erfuhren: „Als es dunkel wurde, schlössen sich die Antilopen zu einer Herde zusammen und zogen durch Gayabucs Traum. Er sah, wie sie sich durch das hohe Gras an einem Berghang ästen. An dem Hang und darunter öffnete sich eine trockene Wiese, auf der Beifuß zu einem hohen Korral aufgeschichtet werden konnte, ohne daß der Schweiß der Arbeit den grasenden Antilopen in die Nasen stieg. Die Morgendämmerung kam herauf, und Rotkehlchen hielt noch immer ihr glühendes Licht an die Brust gedrückt, als die Männer aus dem Lager zogen und sich in nordöstlicher Richtung aufmachten zu den Bergen, die schon mit Schnee beringt waren.

Zwei Tage lang folgten sie dem Antilope-Träumer auf dem Fuße, bis er auf einer trockenen Wiese stehenblieb. Dort unter den weißen Gipfeln schnitten sie das struppige Buschwerk und schichteten es hoch und stachelig zu einem Korral auf, der höher als zwei Männer war. Der Mann der Medizin stand an der Öffnung des Korrals und machte eine Faust über der Sichel einer einzelnen Bärenklaue, die an seinem Hals hing. ,Antilope-Beschwörer, wenn du richtig geträumt hast, werden wir alle etwas zu töten und etwas zu essen haben.' Gayabuc trat in den Korral und blieb in der Mitte stehen. ,Ich bin der Antilope-Träumer, was ich träume, ist wahr. Meine Macht ist nicht falsch. Meine Träume sind meine Macht.'”

Die Häuptlinge waren auch die einzigen, die nicht von dem erbeuteten Fleisch aßen, da sie die Tiere, mit denen sie im Traum so engen Kontakt hatten und die sie auch um ihr Fleisch baten, als ihre Brüder betrachteten. Das Fleisch seines Bruders zu essen ist bei den Washo dasselbe wie sein eigenes Fleisch zu essen, und sein eigenes Fleisch essen bedeutet den Tod.

Doch genau damit beginnt der Roman. Gayabuc, der erste Washo, der Weiße erblickt, beobachtet, wie ein Weißer auf einem großen Schneefeld einem anderen das Herz herausschneidet und verspeist; eine schöne Parabel für die Gefährlichkeit der Weißen, aber auch für ihre Kurzsichtigkeit und Kulturlosigkeit:

„Der Washo spähte. Der Washo spähte durch die Bäume. Der Washo spähte durch die Bäume, während sie sich gegenseitig fraßen. Das Kinn erhoben, den Kopf unbeweglich zu einer Seite geneigt, spähte er durch die Nadeln, die Zweige, die Borke. Das zögernde Winterlicht fiel flach auf die Bäume, auf ihn, auf sie. Das Licht hing in den Zweigen, gefangen, glitzernd in der Schneelast, die sie niederdrückte. Der Washo spähte zwischen diesen Bäumen hindurch, die sich durch den Schnee bohrten wie Speere, die wie Speere eingerammt waren in den Schnee, hoch wie zwei Männer, einer auf dem anderen stehend, wie Speere eingerammt in die gefrorene Erde. In diesem Schweigen hörte er ein Geräusch, ein Geräusch, das nicht von ihnen kam, ein Geräusch, das ihm vertraut war, ein Geräusch, das über ihn wegfegte, während er die sanfte Schräge des Berges hinabspähte, ein Geräusch, das das Schweigen der Bäume zerschlug, das Schweigen von ihnen dort auf dem höheren Schnee, der in der Tiefe des Tales an dem Seeufer zusammengeweht war, ein Geräusch, das mit nichts etwas zu tun hatte als mit der reinen Kraft seines eigenen Daseins, das Geräusch von Gänsen.”

Mit den Weißen kommen Goldrausch, Bau der Eisenbahn, Alkohol, Zerstörung der Natur, Raubbau, Gewalt und Haß. Der letzte Indianer in Sanchez' groß angelegtem Generationsreigen, am Ende der fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts, ist zwar immer noch „Rabbit Boss”, aber nur noch als Gelegenheitsarbeiter für Farmer, die ihre kostbaren Rinderweiden von Hasen gesäubert haben wollen. Und selbst diese Arbeit läßt man ihm schlußendlich nicht, da wirkungsvolle Maschinen erfunden wurden, die diese Arbeit nun statt ihm erledigen sollen. Der Blick des Indianers auf den „zivilisierten Menschen”, den Sanchez in seiner kraftvollen und bilderreichen Sprache beschwört, ist oft ironisch gebrochen, oft staunend und ungläubig, manchmal wütend, aber immer überzeugend.

Thomas Sanchez, der 1944 in Oak-land geboren wurde, begann diesen Roman mit 21 Jahren auf einer Viehranch zu schreiben und vollendete ihn mit 27 Jahren. Dazwischen war er als Bürgerrechtler aktiv und lebte zeitweise in den Bergen. Als Motto seines Buches wird ein Abschnitt aus dem 28. Jahresbericht des Beauftragten für Indianerfragen an den US-Innenminister aus dem Jahre 1866 zitiert: „Die Washo sind ein kleiner Stamm von etwa 500 Indianern ... Innerhalb der Grenzen ihres Territoriums gibt es kein geeignetes Gebiet für eine Reservation, aber angesichts ihrer rasch sinkenden Zahl und der Krankheiten, denen sie ausgesetzt sind, ist auch keine vonnöten.”

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