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Einkehr bei den Alten

19451960198020002020

GOETHES GESPRACHE. Bd. I der Biedermann-Ausgabe. Artemis-Verlag, Zurich und Stuttgart. 1028 Seiten, 43 DM. — BRIEFE AN SEINE BRAUT LUISE RAU. Von Eduard Morike. Hg. von Friedhelm Kemp. Kb sei-Verlag, Miinchen. 324 Seiten, 12.80 DM. — DAS MERKWURDIGSTE JAHR MEINES LEBENS. Von August von K o t z b u e. Hg. von Wolfgang Promies. Kbsel-Verlag, Miinchen. 345 Seiten, 12.80 DM. — DEUTSCHE BALLADEN. Hg. von Hans Fromm. 4. iiberarbeitete und erweiterte Auflage. Carl- Hanser-Verlag, Miinchen. 388 Seiten, 15.80 DM. — APFEL AUS DEM PARADIES. Legenden der Welt. Hg. von Georg Adolf NarciB. V orwort von Gertrud von 1 e Fort. Ehren- wirt-Verlag, Miinchen. 368 Seiten, 25 ganzseitige Illustrationen von Hilda Sandtner. 19.80 DM. — THEODOR FONTANE: SAMTLICHE WERKE. Nymphenburger Verlagsbuch- handlung, Miinchen. 3. Abt., Bd. XVII (Aus England und Schottland), 696 Seiten, 36 DM, Bd. XXI/1 (Essays), 504 Seiten, 32 DM, Bde. XXII/1 u. 2 (Theaterkritiken), 976 Seiten, 48 DM, und 784 Seiten, 43 DM. — DIE HEILIGE JOHANNA. Von Bernard Shaw, edition suhrkamp Nr. 127. 146 Seiten, 22.20 S.

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GOETHES GESPRACHE. Bd. I der Biedermann-Ausgabe. Artemis-Verlag, Zurich und Stuttgart. 1028 Seiten, 43 DM. — BRIEFE AN SEINE BRAUT LUISE RAU. Von Eduard Morike. Hg. von Friedhelm Kemp. Kb sei-Verlag, Miinchen. 324 Seiten, 12.80 DM. — DAS MERKWURDIGSTE JAHR MEINES LEBENS. Von August von K o t z b u e. Hg. von Wolfgang Promies. Kbsel-Verlag, Miinchen. 345 Seiten, 12.80 DM. — DEUTSCHE BALLADEN. Hg. von Hans Fromm. 4. iiberarbeitete und erweiterte Auflage. Carl- Hanser-Verlag, Miinchen. 388 Seiten, 15.80 DM. — APFEL AUS DEM PARADIES. Legenden der Welt. Hg. von Georg Adolf NarciB. V orwort von Gertrud von 1 e Fort. Ehren- wirt-Verlag, Miinchen. 368 Seiten, 25 ganzseitige Illustrationen von Hilda Sandtner. 19.80 DM. — THEODOR FONTANE: SAMTLICHE WERKE. Nymphenburger Verlagsbuch- handlung, Miinchen. 3. Abt., Bd. XVII (Aus England und Schottland), 696 Seiten, 36 DM, Bd. XXI/1 (Essays), 504 Seiten, 32 DM, Bde. XXII/1 u. 2 (Theaterkritiken), 976 Seiten, 48 DM, und 784 Seiten, 43 DM. — DIE HEILIGE JOHANNA. Von Bernard Shaw, edition suhrkamp Nr. 127. 146 Seiten, 22.20 S.

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Demselben (Artemis-)Verlag, dem wir die GroBe und die Kleine Goethe- ausgabe, sett der Weimarer Sophien- ausgabe (1887 bis 1920) wohl die voll- standigsten Goetheausgaben, dan- ken, haben wir nun auch die (3.) Auis- gabe der Bdedermann (Vater und Sohn)-Ausgabe der Gesprache Goethes zu danken, die 1889 begann und seither ein wechselvolles Schicksal hatte. , Die Ausgabe ist auf vier Bande berechnet, deren erster nun vorliegender bis Schillers Tod reicht. Es sind 6000 (!) Dokumente, nicht von, sondern uber Goethe, und es ist damit wie bei Michelangelos „Moses“, der bei jedem anderen Lichteinfall und in jedem anderen Gesichtswinkel anders zu sein scheint. Das Vorwort Wolfgang Her- wigs gilt fiir alle vier Bande und weist knappest auf die-1, unmeBbare forscherische Bedeutung des Werkes fiir den Mann und die Zeit hin. Der dubiose „Eckermann“ wird mit Recht ausgeklammert.

Briefe Mbrikes an „seine Kathi Frohlich"? Also ein Idyll aus dem schwabischen Biedermeier vor dem Hintergrund der europaischen Re- Btaurationsepoche? Nein. Wohl geht nach den Worten des Herausgebers „noch das Heimliche unschuldsvoll wie freie Atemziige aus und ein", aber Idylle? Horen wir Morike aus idem letzten der 14 Jahre wahrenden, von Luise Rau gelosten Verlobung (1833): „Ich bin iseit Wochen wie ein gehetztes Wild, unstet, fast heimatlos, uneins mit mir selbst, und mbchte mein Schicksal mit FiiBen zertreten." Das ist nicht der Vikar vor der Pastille, sondern die ewig ringende, leidende, schopferische Kreatur; der Dichten, den wir nicht kannten.

Kotzebues „merkwundigstes Jahr" war 1800, als er auf einer Reise in die kurlandischen Besitzungen seiner Frau beim Zaren denunziert, nach Sibirien verschleppt, dann aber wahrhaft kaiserlich versohnt und, was ihm noch lieber gewesen sein diirfte, entschadigt wurde. Die fliis- sige Art seiner bekannten Viel- schreiberei ist stellenweise fast un- ertraglich selbstgefallig und fami- lien-larmoyant. Kotzebue ist passe. Warum Tote ausgraben?

Das Balladenbuch des bekannten

Miinchner Germanisten Fromm ist noch neuer, reicher, schbner gewor- den. Nicht nur, daB das immense Material um Al teres und Neueres (Brentano, Heine, Keller; Vring, Bobrowski, Krolow, Huchel und Christa Reinig) vermehrt und in die Sprache unserer Tage aufgenommen wurde: Fromms Nachwort allein, 30 Seiten uber Geschichte und Wesen der Ballade, rechtfertigt die Neuaus- gabe. Wie schon ist der SchluBsatz: „Es liegt fiir uns die Anziehungs- kraft der Ballade wie des Marchens darin, daB im Sinnbild uns entsteht, was im Urbild uns entfiel."

Eine gleich herzhafte Bejahung der Existenzberechtigung wie der Ballade erfahrt die uralte Form der Legende in dem wissenschaftlich uberaus gewissenhaften Sammel- werk G. A. NarciB’ „Apfel aus dem Paradies", das die Legende vom 6. Jahrtausend vor Christus (!) bis Martin Bubers nacherzahlten Legen- den des Baalschem und Chassidim in unseren Tagen verfolgt. Wer diese zauberhaften Friichte menschlicher Phantasie sowohl des auBerchrist- lichen wie des christlichen Bereiches bis zu ihren Wurzeln verfolgt, wird nicht nur von der zeitlichen und ort- lichen weitreichenden Motivenwan- derung (so der strahlenfangenden islamitischen Legende) iiberrascht sein; auch eine tiefe religiose Weis- heit erbffnet das Vorwort Gertrud von le Forts: „Wo immer um das Mysterium des Seins gerungen wird, wird die Legende eine Heimat haben, als Zeichen dafur, daB unserer irdischen Wirklichkeit noch eine andere zugeordnet ist."

Von der uberdimensionierten Nymphenburger Fontane-Ausgabe, die wohl auf 30 dicke Bande an- schwellen wird, liegen schon die ersten 13 Bande „Erzahlungen“ und brandenburgischen „Wanderungen“ sowie Sprengsel der 3. Abteilung (Lyrik und Kritiken) vor, eine 4. Abteilung soil die Briefe aufnehmen. Vor dem Rezensenten liegen die weniger bedeutenden Bande XVII und XXI/1 und die litenarisch wohl interessanten Theaterkritiken aus der „Vossischen“ (XXII/1 und 2). Im allgemeinen aber steht hinter dem gigantischen Unternehmen die ernst- hafte Frage nach dem Wert solches SchweiBes auf, zumal die deutsche Literaturgeschichte gerade in den „poetischen Realismus" so tiefe Bre- schen geschlagen hat. Was wird denn wirklich auBer den Balladen und drei bis vier Erzahlungen Fontanes „dauemder als Erz“ sein?

Liegt auch auf Shaws „Johanna" schon feiner Staub? Nur in bestimm- tem Sinn. Wahrend Brecht und Anouilh am Heiligenschein Johannas knabbem, belaBt Shaw an seiner Johanna das Heilige, mindestens das Metaphysische iiberraschend unma- nipuliert und spart seine Hiebe fiir die sehr menschlichen Vertreter der kirchlichen und weltlichen Macht (die seinerzeit streckenweise iden- tisch sind). Gerade deshalb aber wird Shaws Johanna vielleicht (wie „Pygmalion“ und „Candida“) vieles andere des irischen Spottvogels iiberleben.

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