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Europa im Urwald, Wien und Berlin

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.Samba“ von Ulrich Becher in der Josef stadt. Ein „leichter“ Titel, wie Hor-vaths „Gschichten aus dem Wienerwald“. Nicht zufällig werden wir erinnert an diese schauerliche Groteske, ödön von Honrath fragt: Was bleibt von unserem Wien, wenn die Masken fallen? Becher, der sich hier Erlebnisse seiner südamerikanischen Emigration vom Leib geschrieben hat, fragt: Was bleibt von Europa — wenn die Bindungen des alten Kontinents fallen, zerstört durch den Krieg, den Wahnsinn der Diktatoren, das zermürbende Schicksal des einzelnen. Kierkegaards „Einzelner“ — das ist nun der Europäer; auf sich, auf nichts gestellt, am Rande des brasilianischen Hochlandes. Eine Handvoll „Einzelner“, gegeneinander geworfen in einem kleinen, schmierigen Hotel. Ein altösterreichischer legitimistischer Hauptmann, ein deutscher Fliegeroffizier des ersten Weltkrieges, der nicht mehr „mitmachen“ wollte, ein lungenkranker französischer Student, ein deutscher Dichter, zwei Wienerinnen, eine ist Jüdin. — Gespenstisch nahezu, die Reaktionen der Selbstbehauptung dieser „Einzelnen“ — gegenüber dem enervierenden Druck der Umwelt, die sie zu zermalmen, zu zersetzen, zu überwältigen droht. Diese Umwelt ist Samba, der brasilianische Karneval, dieser Taumel des Fleisches, in dem alles versinkt, was Europa ist: die Vernunft des freien Menschen, der Verantwortung übernimmt und sich die Freiheit des Geistes und Herzens erkämpft. Diese wesenhafte Funktion des europäischen Menschen repräsentiert vielleicht am erschütterndsten die vom Publikum und Kritik unverstandene Figur des Hauptmanns Augustin. Dieser Kopfschüßler aus dem ersten Weltkrieg fordert Mussolini wegen seiner Preisgabe Österreichs zum Duell, will sich in seinen Briefmanifesten mit den verantwortlichen Häuptern der Welt über Krieg und Frieden auseinandersetzen. Dieser „Verrückte“ ist der letzte Repräsentant des alteuropäischen Kosmos mit seinem Eigenstand der Person, ein ritterlicher Rebell mit eingefleischten unerschütterlichen Begriffen von Recht und Gerechtigkeit, der hier in den Tod getrieben wird von dem indianischen Halbblut Heredia, dem Polizeiresidenten. Das Faszinierende, für den Sehenden Erschütternde ist nun, wie es, im Stück, diesen Europäern gelingt, innerlich aus dem dumpfen, betäubenden Machtkreis dieser ganz anderen Welt auszubrechen und ihren magisch-fatali6tischen Bann zu' sprengen. Der Dichter rettet sich in sein Werk, der junge, sterbende Franzose in ein abgeklärtes humanistisches Denken, das dem Haß der Väter widersagt, die Frauen schreiten in eine Verantwortung tragende persönliche Liebe, der vergrämte, versoffene deutsche Offizier übernimmt ein Todeskommando, im Dienste der Alliierten, als Fallschirmspringer in Europa. — Schade, daß ein sentimentalisch falscher Schluß die Zuschauer zuletzt aus- der richtigen Spannung entläßt, aus dem Nachdenken, zu dem dieses glänzend gespielte Stück (Regie: Pfaudler) uns alle hier zwingt: was bleibt, von uns ...?

In den Kammerspielen gastiert die Josefstadt mit einem Spiel ihres Schauspieler-Autors Hans Holt: „Der Zaun.“ Dieser liebenswürdige, allseits beliebte Schriftsteller-Darsteller versucht sich hier mit einer Wiener Gaunerkomödie im Heute. Ein armer Teufel sitzt, beruflich sozusagen, für einer Verbrecher-Freunde, pardon Geschäftsfreunde, deren Strafen ab; bis es ihm aus sehr persönlichen Gründen zu viel wird. Ein Thema, das tragisch oder burlesk behandelt werden könnte, hier aber in kleinen, billigen Mätzchen ausgeschrot+et wird, zuletzt in Tümpeln versandet.

Wehmütig gestimmt, verläßt der Freund Berlins und der Berliner das „Unsterbliche Brettl“, das erstmalige Gastspiel Willi Schaeffers mit seinem berühmten „Kabarett der Komiker“ im neueröffneten Kleinen Haus in der Liliengasse. — 50 Jahre Brettl, von Ernst von Wol-zogen und Otto Julius Bierbaum über Detlev von Liliencron zum alten Berliner „Chat noir“ und zum „Kabarett der Komiker“, 1924 bis 1951, zeigen, daß es sehr Verschiedenes sein mag, unsterblich ist es nicht... Vergilbt seine Kränze, vergilbt seine Scherze, vergilbt sein Witz — es waren andere Menschen, es war eine andere Welt, die diese Fähnriche und Leutenants, diese vereinsamten Frauen glossierte, parodierte — und liebte. So vermag, so sonderbar es zunächst klingt, der Besuch dieses Kabaretts voll und ganz empfohlen zu werden nur den Freunden der Besinnlichkeit, die eines Nach-Denkens noch fähig sind, der schmerzlich-heiteren Empfindsamkeit für das Gewesene. Die kommen allerdings sehr auf ihre Kosten. Willi Schaeffer zaubert in seiner Ansprache den seidigen Glanz dieser großen, auf ihre Weise großartigen und bewunderungswürdigen Stadt Berlin hervor. Ein Nachsatz noch zu den modernen politisch-satirischen Parodien, die In das Programm verflochten wurden. Diese sperrig-harten, gequälten, monoton-eintönigen Einfälle und Ausfälle gegen die „Bonner Bonzen“ Adenauer und die Alliierten zeigen, daß der Deutsche — und hier seine tiefe Gefährdung verratend, echten Humor nicht gefunden hat. Der 6etzt allerdings eine Kraft, Ruhe, innere Ausgewogenheit voraus, die uns allen in dieser Stunde so selten gegeben ist.

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