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Festwochen mit Gründgens

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Glanzpunkt und Festakt des dramatischen Programms der Berliner Festwochen war sofern man die sensationelle Seite des Ereignisses und das unerschütterliche Prestige in Erwägung zieht, dessen sich Gustaf Gründgens in Deutschland erfreut das Hamburger Gastspiel mit der vielgerühmten „F a u s t - 11“ - Inszenierung. Die Berliner hatten sich vier Tage vor Eröffnung der Vorverkaufskassa mit Campingausrüstung vor dem Schiller-Theater eingefunden — und spendeten dann, am Abend der Galavorstellung, ihrem Idol Gründgens stürmischen Beifall…

In diesem Beifall, der die Gründgenssche Gestaltung des Mephistopheles spielerisch, brillant, süffisant, artistisch sehr zu Recht — seine Inszenierung weg vom Faust-Mythos, weg von Goethes universeller Thematik, hin zu Gründgens indes mit weitaus geringerer sachlicher Begründung begleitete, drückt sich wohl vor allem das Ovationsbedürfnis des heutigen Theaterbesuchers aus: Er sitzt zwischen den Stühlen der Richtungslosigkeit und der Experimente, für die er sich nicht erwärmen kann, und zwischen der grauen Sachlichkeit und den zynischen Groteskpantomimen des „heutigen“ Theaters. Er will aber ein „beglaubigtes“, legitimes Zentrum haben, einen geistigen Mittelpunkt — etwas, das ihn begeistert: das große, festliche Theater. So klammert er sich denn an die glanzvolle Persönlichkeit. . .

Die positiven Eindrücke dieses „Faust II“ erzeugen die Präzision der Aufführung, das nahezu spartanische Konzept der Szenerie, die sehr häufig eindrucksvoll erscheinende Schlichtheit der Dekoration Teo Otto — und, nicht zuletzt wenn auch der Tendenz dieser Inszenierung zur Folge, ziemlich an den Rand gerückt, beiseite geschoben, die großartige Gestaltung des Faust von Werner Hinz. Das negative Resümee aber liegt neben der Blässe Antje Weisgerbers als Helena in der Reduzierung des geistigen Gehalts dieser weltenweiten Dichtung begründet: in der absoluten Veräußerlichung des schwerwiegenden Stoffes, in dem rein komödiantischen, dem „heutig“-sensationellen Akzent der Aufführung. Nur Gründgens war an diesem Abend allgegenwärtig — kein Goethe . . .

Da war das kleine „Ereignis“ beispielsweise, die Eröffnung der dramatischen „Werkstatt“ des Schiller- Theaters am Abend darauf, so unscheinbar es sich gegen die Gründgenssche Totalkomödiantik auch ausnehmen mag, für die Zukunft des Theaters von größerer konstruktiver Bedeutung: Hier, in diesem kahlen Raum, der einmal Tischlerwerkstatt des Schiller-Theaters war, verschrieb man sich mit großem Ernst und tatkräftiger Gläubigkeit dem Unerprobten, dem Riskanten, dem Unbekannten. Hier werden von ersten Kräften des Barlog-Ensembles neue Werke und seien es auch nur Werkchen vorderhand und recht deprimierende noch dazu aus der Taufe gehoben.

„Das letzte Band“, ein psychologisches Monologstück von Samuel Beckett, das den Alpdruck der Einsamkeit und die triste Resignation des Alters in das Porträt eines versponnenen Greises kleidet, und die „Z o o - G e s c h i c h t e“ des jungen Amerikaners Edward A1 b e e ein packendes und zutiefst dramatisches Dialogfragment mit einer bis zur Selbstentäußerung vorangetriebenen Erhitzung menschlicher Probleme hinterlassen einen starken Eindruck. Nicht zuletzt dank der erschütternden Verkörperungen durch Kurt B u e c h 1 e r und Thomas Holtzmann.

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