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„Egmont“ oder die Kunst des Schauspiels

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Die Generalprobe zu Goethes „Egmont“ — da der Zuschauerraum des Salzburger Landestheaters nur 700 Plätze umfaßt und über 300 Kritiker aus aller Welt diese Aufführung sehen wollten, mußte der Rezensent der „Furche“ mit einem Teil seiner Kollegen auf den Besuch der Premiere verzichten — war ein echtes Theaterereignis Nur wenige hatte.n geglaubt, daß mit Goethes nicht allzu dramatisch aufgebautem Trauerspiel die gleiche Wirkung zu erzielen wäre, wie sie von der vorjährigen Festspielaufführung von Schillers „Kabale und Liebe“ ausging, aber Ernst Lothar, der Regisseur und Animator des Salzburger Schauspiels, strafte die Zweifler an Goethe Lügen. „Egmont“ ist ein zeitlos modernes Stück, poetisch in seinen Liebesszenen, ungestüm in seinem Freiheitsruf, voll tragischer Größe, wo sich das Schicksal seines Helden vollendet. Diese drei Komponenten des Trauerspiels gleich stark und gleich bedeutsam herausgearbeitet und ihre Figuren mit idealen Interpreten besetzt zu haben, ist das Verdienst Lothars, der auch das Wagnis unternahm, Beethovens „Egmont“-Musik, obwohl sie hie und da den Ablauf der Handlung verzögern mag, in seine so ganz unromantisch-heutige Inszenierung einzube-ziehen. Die Musik war weniger Verzögerung denn retardierendes Moment, war Bindeglied der drei Komponenten Liebe, Freiheit und schicksalhafte Tragik, die von Szene zu Szene wuchsen, bis sie im letzten Akt, da Egmont um der Freiheit und Klär-chen um Egmonts willen den Tod finden, eins wurden, atemberaubend dramatisch, unerbittlich tragisch.

In dem, was Inge K o n r a d i als Klärchen, Elisabeth Flickenschiidt als Regentin und Ernst G i n s b e r g als Vansen sagten und in dem, was sie taten, war Goethe. Will Q u a d f 1 i e g gab Egmont strahlend und überzeugend, in seinen Szenen mit Klärchen ebenso wie in jenen mit Oranien und Alba. Oranien: Ewald Baiser beschied sich diesmal mit einer geringeren Rolle und bewies in einer einzigen Szene seine unvergleichlichen Möglichkeiten. Adrienne G e ß n e r (Klärchens Mutter) und Kurt M e i s e 1 (Brackenburg) gaben den Liebesszenen mit großer Kirnst einen dramatischen Rahmen, Walter Franck, Walther Reyer, Otto Schmöle und Guido Wieland trieben die Tragödie voran. Die Bürger von Brüssel, das Lied der Freiheit noch nicht auf den Lippen, aber den Wunsch nach ihr im Herzen tragend, waren mit ersten Schauspielern aus Wien und Salzburg besetzt. Als bei der Generalprobe, nach Egmonts Schlußworten „Um euer Liebstes zu erretten, fallt freudig, wie ich euch ein Beispiel gebe!“, der Dirigent Ernst Märzendorfer seinen Taktstock zum letzten Einsatz hob, rauschte Beifall auf, wie er im Salzburger Landestheater auch zur Festspielzeit selten ist, und erst das gewaltige Finale der Beethovschen Musik war stärker als der Jubel des Publikums.

Bei der Premiere fehlte dieser spontane Jubel, und erst nachdem der letzte Ton verklungen war, setzte der übliche Premierenapplaus ein. War das Publikum ein anderes, war die Aufführung eine andere gewesen? Wir wissen es nicht, wir waren nicht dabei. Aber Freunde, die beide Vorstellungen besucht hatten, versicherten uns, daß zwischen Generalprobe und Premiere ein kleiner Unterschied war. Kein Schauspieler war ganz so gut wie tags zuvor, und war der Unterschied in der Leistung auch noch so geringfügig, er bewirkte, daß die drei szenischen und von der Regie zu so gewaltigen Höhen gesteigerten Komponenten der Liebe, der Freiheit und der schicksalhaften Tragik nicht zueinanderfinden mochten. Wir bedauern dies. Aber liegt nicht ein Großes darin. daß es auf dem Gebiete der Kunst derlei Wechselfälle noch gibt? Ist es nicht herrlich, zu wissen, daß Theater nichts Perfektes, nichts Perfektioniertes ist, sondern menschlichen Schwingungen unterworfen, wie eh und je? Daß Föhn oder ein vergessenes Wort oder eine unrichtige Bewegung entscheidend sein können für Erfolg oder Mißerfolg von wochenlanger Arbeit? Daß also das Theater noch immer von der Automatik unseres mechanisierten Jahrhunderts ausgenommen ist?

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