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Filmfest 1957; „Don Giovanni” 1954

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Sie stehen wie verläßliche, gelassene Wegweiser auf der Zickzack-Straße des absoluten, des Illusions-, des Spielfilms: die großen Dokumente, die sauberen Bewahrer großer Kunst, die „Verfilmungen”. „Konserven” werden sie manchmal spöttisch genannt, „Glanzabzüge”, Surrogate, Kunst aus zweiter, dritter Hand. Sei’s drum. Unerschütterlich stehen sie da und tanzen nicht mit den Veitstanz verschrobener Experimente. Demutvoll stehen sie da und beugen sich dem Geist des Dichters oder Kompositeurs. Aber ihr Haupt ragt stolzer als das der kleinen Gernegroß.

Paul Czinners, des Wahlengländers, Farbfilm von der Salzburger „Don-Giovanni “-Festspielaufführung 1954 wird bestehen. Ich sage: Film, nicht Verfilmung, obwohl der „Glanzabzug” demütig und getreu alle Nuancen der denkwürdigen Inszenierung Herbert Grafs übernommen hat. Denn die elf dabei verwendeten Kameras kleben trotzdem nicht an einem starren Panorama, so wenig sie anderseits wieder wildgeworden herumrasten. Mit unendlicher Ruhe und Geschmeidigkeit scheinen sie zu „wandern”, vom Ensemble zum Solo oder Duett, vom Panorama zum Halbnah oder Nah, von Licht zu Licht, von Schatten zu Schatten. Kaum zwei, drei Einwände: die abgeschnittenen Füße Don Octavios etwa links oberhalb Donna Annas an der Leiche des Vaters, die Latemdlträger von Payer Sc Schmutzer im zweiten Akt und die zwar recht instruktiven, aber doch zu ausführlichen Zwischentexte. Sonst ist alles aus einem Zusammentreffen so herrlicher Stimmen mit photogenen, schönen Menschen gegeben wie hier (Cesare Šiepi, Otto Edelmann, Elisabeth Grümmer, Lisa della Casa, Anton Dermota, Erna Berger, Walter Berry, Deszö Ernster). Auch hat der Tod inzwischen das ehrwürdige Silberhaar und die adelige Geste Wilhelm Furtwänglers aus der Szene genommen: hier, in der wahrhaft festlichen Ouvertüre leben beide weiter, mit den makellosen Tönen aus Chor (Wiener Staatsoper) und Orchester (Wiener Philharmoniker). Die tüchtigen Wiener Theaterverfilmungen werden an diesem Klassiker zu lernen haben.

Nichts lernen werden Schüler von Jenem zweiten Hexenmeister in London, dessen atemraubend-geniale, daneben nur noch in Chaplin ausgedrückte Personalunion von Produktion, Regie und Darstellung einmalig und ohne Nachfolge ist: Laurence Oliviers, dessen drei große Kriegs- und Nachkriegsfilme fast eine neue „Shakespeare”-Epoche eingeleitet haben. Man sieht jetzt in einer Wiener Festwochen- Reprise das dichte Spiel und die hinreißende Schlacht von Agincourt aus dem unvergeßlichen „Heinrich V.” und man sieht ein neues Meisterstück „Richard III.” Was für ein stinkender, hinkender Teufel, der sich da langsam zum Thron hinaufmordet, was für ein hochfahrender, eitler Tropf in Gold und Seide, was für ein schauerliches, jämmerliches Bündel von Blut und Dreck auf dem Schlachtfeld! Eine säkulare Gestalt Oliviers, ein säkularer Film.

Salut aus allen Rohren! Auch der Spielfilm verneigt sich vor den Festwochen. Er schickt uns den jüngsten Preisträger von Cannes, „Friendly Persuasion” (gräßliche Verdeutschung: „Lockende Versuchung”); man kennt die „Konkurrenz” nicht, aber der Preis fiel keinem Unwürdigen zu. Diese Mischung von Todernst und idyllischer Munterkeit, von Komödie und Tragödie, familiärer Intimität und echtem und problematischem Heldentum auf dem Schlachtfeld, christlichem Geist und engherziger Sektiererei ist nur im azurnen Himmel von Kalifornien denkbar. Ein 1000 Prozent amerikanischer Film. — Ein 100 Prozent amerikanischer: „D e r Mann im grauen Flanell”, die Geschichte des Durchschnittsamerikaners von heute (in dessen Leben und Streben immer wieder noch Reflexe aus dem Krieg fallen) mit offenherzigen Einblicken, noch mehr: Einsichten.

Im Galopp über alle Gesetze geschichtlicher Wahrheit und Gerechtigkeit, nicht selten auch filmischer Logik springt der französische „Till Eulenspiegel, der lachende Re bell” und macht aus dem poetischen Roman-Schelm von Charles de Coster einen „Egmont” in Westentaschenformat. Photographische Brillanz versöhnt mit manchen Entgleisungen.

Ein sehr sauberer, seriöser schwedischer Expeditionsfilm „Anaconda” blitzt und leuchtet noch im Feuerwerk der Woche. Die restlichen Raketen („Ardennen 1944”, „Ein Schatten uf auf dem Dach”, „Die Straße der geschminkten Lippen”, „Um jeden Preis” und „Des Teufels rechte Hand”) zischen nur und puffen.

Filmschau (Gutachten der Katholischen Film-kommission für Österreich) Nr. 23 vom 8. Juni 1957: II (Für alle zulässig): „Anaconda” — III (Für Erwachsene und reifere Jugend): „Dort oben, wo di Alpen glühen”, „Johnny Concho”, „Tarzan bricht die Ketten” — IV (Für Erwachsene): „Beiderseits der Rollbahn” (II. Teil), „Diana, Kurtisane von Frankreich”, „Hollywood-Story”, „Todesfaust”, „Umberto D.” — IV a (Für Erwachsene mit Vorbehalt) „Auf Wiedersehen am Bodensee”, „Mit allen Wassern gewaschen”.

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