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Graz war sein Schicksal

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Musik war sein Leben. Lebenserinnerungen. Von Ernst Decsey. Hans-Deutsch-Verlag, Wien- Basel-Stuttgart. 180 Seiten. Preis 78 S.

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Musik war sein Leben. Lebenserinnerungen. Von Ernst Decsey. Hans-Deutsch-Verlag, Wien- Basel-Stuttgart. 180 Seiten. Preis 78 S.

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Der Vater Ernst Decseys entstammt einer Szegediner Grundbesitzerfamilie, lebte aber zur Zeit, als sein Sohn (1870) geboren wurde, als Uhrmacher in Hamburg. 1880 traten er und seine Frau vom jüdischen zum evangelischen Glauben über. Der Sohn Ernst wurde erst 1886, und zwar katholisch (in der Votivkirche) getauft. In Wien studierte Decsey an der Universität Jurisprudenz und nahm 1892 bis 1893 am Theorieunterricht Bruckners teil, dem er nicht nur eine Biographie, .sondern auch ein Theaterstück- „Der Musikant Gottes“ gewidmet hat, das sehr erfolgreich war.

Verweilen wir zunächst bei der literarischen Tätigkeit Decseys. Da gab es einen Schubert-Roman mit dem Titel „Der unsterbliche Franz“, später die Textbücher zu „Sissy“ für Fritz Kreisler (auf Grund eines Singspiels von Decsey „Sissys Brautfahrt“), „Dame im Traum“ für Franz Salmhofer und „Die Kathrin“ für die letzte Oper Erich Wolfgang Korngolds. Alle diese Produkte kann man, auch bei größter Nachsicht, nicht anders denn als sentimentalen Kitsch bezeichnen. Aber es gibt noch einen anderen Decsey: den ersten Biographen Hugo Wolfs (1906), den Autor der bereits erwähnten Bruckner-Monographie und eines sehr wienerischen Johann-Strauß- Buches. Freilich hat sich Decsey dann auch wieder für Franz Lehar erwärmt, dem er 1924 ein Buch widmete. Und hierauf folgt dann, wieder nach der positiven Seite ausschlagend, eine Debussy-Biographie, die 1936 erschien und 1949 aus dem Nachlaß durch ein dem Werk Debussys gewidmetes Manuskript ergänzt werden konnte.

Aber Decsey war vor allem als Kritiker und Feuilletonist bekannt, ja im österreichischen Raum berühmt geworden. Von 1900 bis 1920 war er Musikkritiker an der „Grazer Tagespost“. In diesen Jahren scheint sich seine Persönlichkeit am stärksten geformt zu haben und der Riß entstanden zu sein, der Decseys Doppelnatur bedingte. Decsey war in seinem Fach versiert und führte das, was man eine flüssige Feder nennt. Er gehört zur Generation der Musikfeuilletönisten, die durch die Namen Julius Korngold, Richard Specht und Max Graf vertreten ist, der seine Kollegen um Jahrzehnte überlebte und der weitläufigste von ihnen war. Gestehen wir, daß diese ganze Gattung des Wiener musikalischen Feuilletons, der unverbindlichen Plauderei, durch die Schein- und Halbwissen verbreitet wird, uns heute recht fragwürdig erscheint. Sie ist nicht nur deshalb ausgestorben, weil die betreffenden Federn zur ewigen Ruhe gekommen sind, sondern auch, weil man das Genre nicht mehr schätzt, ja nicht mehr vertragen kann.

Die Gabe, „geistreich“, witzig und unterhaltend zu sein — eine gefährliche Gabe für einen Schriftsteller übrigens —, kann gewiß auf keinen bestimmten Typus beschränkt werden. Aber es ist provinziell, sich speziell darauf etwas zugute zu tun. — Auch der literarische Umgang Decseys war provinziell, mit Peter Rosegger und dem Grazer Original Schrottenbach als Zentrum. — Von 1921 an war Decsey am „Neuen Wiener Tagblatt“ als Theater- und Musikkritiker tätig. In der ersten Zeit hat er heiße Sehnsucht nach Graz, und ein wohlmeinender Bekannter apostrophiert den „neuen Wiener“ folgendermaßen: „Was machen S' denn da? In Graz waren S' a König! Da san S' a Dreck!“

Es gibt viele solcher Episoden in dem Buch, rührende und ernste, aber leider keinen Hauch von großer Welt. An die Memoiren zeitgenössischer Künstler von Format darf man dabei nicht denken. Es war daher ein recht fragwürdiges Unternehmen, diese Blätter der Öffentlichkeit zu übergeben, zumal dies auch editionstechnisch auf eine recht sorglose Art geschah. Sicher hatte der Herausgeber, der Schwiegersohn Decseys, die besten Absichten, und das menschliche Schicksal Decseys, vor allem sein trauriges Ende (er starb 1941, von vielen seiner ehemaligen Freunde vergessen und gemieden, in seiner Wiener Wohnung) verdient jede Anteilnahme. Aber das Bild des Biographen von Hugo Wolf und Claude Debussy empfängt durch diese Publikation kein neues Licht, sondern wird eher verwischt.

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