6592534-1952_36_02.jpg
Digital In Arbeit

Grundkräfte in erschütterter Welt

Werbung
Werbung
Werbung

Wer wagt es heute noch, den ersten und den letzten irdischen Dingen offen ins Gesicht zu sehen, mit jenem Ernste, zu dem die Bekenner des Gekreuzigten verpflichtet sind? Reinhold Schneider hat dies gewagt; als eine einsame Stimme im Schatten des Dritten Reiches, als eine einsame Stimme im Heute. Damals wie heute von vielen ver- fehmt, von vielen mißverstanden. Es kann von niemanden verlangt werden, daß er alle Gedanken dieses radikalen christlichen Friedensdenkers teilt, es darf aber gebeten werden, daß man seine Stimme hört.

„Die österreichische Furche'

Im Jahre des „Kommunistischen Manifests", 1848, schrieb Sören Kierkegaard seine „Einübung im Christentum", ein revolutionär christliches Manifest, nicht unmittelbar eine Antwort an Karl Marx, aber eine Antwort, an das Jahrhundert, dessen Tendęn en, .dieser, jn gewissem Sinne ausgesprochen hatte. Der Von dem Deutschen als Ziel der Geschichte proklamierten Herrschaft des Proletariats, dem dialektisch - fortschrittlichen Geschichtsbild ohne das Absolute und ohne Gott, stellte der Däne den Einzelnen entgegen, dessen einzige Aufgabe es ist: Christ zu werden, zu sein; es war gewiß eine Herausforderung an die Zeit, daß Kierkegaard jede Berufung auf die kulturelle Leistung des Christentums, selbst die Möglichkeit christlicher Kunst ver

warf, überhaupt ein jedes im endlichen begründete „Wozu?". Hier ging es einzig und allein um die „Gleichzeitigkeit“ mit Christus, und zwar mit dem Erniedrigten; um das Sein des Menschen vor dem Absoluten, das, relativ verstanden, „die größte Plage" ist; die Jahre, die seit Christi Wandel vergingen, sind ohne Gewicht. „Wer mit dem Absoluten nicht gleichzeitig ist, für den ist es gar nicht da." Auf das Wozu? gibt es nur eine Antwort: „Schweig! Es ist das Absolute Und so muß es dargestellt werden." Die Menschheit, die es so nicht verstand, die aus dem Sein eine Lehre machte, die dozierte, statt zu existieren, bewunderte statt nachzufolgen, hat das Christentum „entthront",- sie hat es „abgeschafft", ohne es überhaupt verstanden zu haben.

Indessen stürmte die;; pberzeugung, daß die ökonomischen Elemente die Geschichte durchherrschen; daß nicht das Bewußtsein der Menschen ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein ihr Bewußtsein bestimmt, einem unerhörten Siege entgegen, der wahrlich nicht unerklärlich ist. Es erschwert nur die auf den Verantwortlichen — mögen sie nun Christen oder Häupter und Vertreter der „klassischen Bildung" oder auch nur Fabrikherren gewesen sein — lastenden Vorwürfe, daß, wie Ernst Benz

nachgewiesen hat, der christliche Denker Franz von Baader fünfzehn Jahre vor Marx sowohl die rechtlichen wie die caritaliven Probleme erkannt hat, die mit der Heraufkunft des Proletariats — des Proletairs, wie Baader sagte — gegeben waren (Helmut Schoeck: Soziologie, Freiburg-München). Aus eigener Anschauung stellte Baader fest, daß die „meetings und associations der Fabrik- fherren in England um nichts besser als Conspirationen in Bezug auf das Proletariat waren". So hat er, wie Benz betont, rechtzeitig die Kirche aufgefordert, diejenigen Institutionen zu schaffen, die der neuen sozialen Verpflichtung gerecht t werden konnten. Es war ja eben die Wesensgemäß nicht notwendige Vermischung der „neuen Rechte" mit dem Atheismus, die alles zu zersprengen drohte.

Uns geht es hier um den Zusammenstoß der sozial materialistischen Revolution mit. der christlichen, mit der Proklamation des Ärgernisses, des Paradoxons, des „Schrecklichen" und „Entsetzlichen", des Christseins, der Wahrheit, die darin besteht, .die Wahrheit zu s e i n".

Das Kommunistische Manifest rief die Massen, die christliche Antwort war der Ruf an die Einsamsten, die sich in Ver-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung