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HÄUSER UND MENSCHEN

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Ich habe beschlossen, ein kleines Feuilleton über die Häuser zu schreiben, die gegenwärtig für unseren Wohnungsbau aufgeführt werden. Immerhin hocken die Menschen den größten Teil ihres Lebens zu Hause herum. Und so sei es mir schon aus dem Grunde gestattet, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf dieses keineswegs unwichtige Problem zu lenken.

Ich will in Kürze von dem Haus erzählen, in dem ich — wie man so sagt — das Glück habe, meine Tage zu verbringen.

Das Haus also, in dem ich zur Zeit wohne, ist ein solides Gebäude neuester Bauart. Und in architektonischer Hinsicht — ein sehr interessantes Werk. Es ist mit Sorgfalt und nicht ohne Liebe erbaut. Jede Wohnung hat ihren Balkon. Die Fenster sind groß und breit, und die Sonne kann ungehindert mit ihren Strahlen in die winzigen, gemütlichen Wohnungen dringen. Überall Badezimmer und Müllschlucker. Die Treppe ist vollends sympathisch — nur bedauerlicherweise ein ganz klein wenig zu schmal. So daß man Klaviere zum Beispiel durch die Fenster befördern muß. Ein Umstand, der nun Seinerseits bis zu einem gewissen Grad der musikalisch^ Kultur abträglich ist.

Unser Komponist, der die Wohnung,irnJünften Stock gemietet hat, litt unaussprechliche Qualen, als man das Instrument seiner Schöpferkraft an einem Seil hochzog.

In der Tat erschien das irgendwie unnatürlich — zumal ein lautes Geschrei anhob, als man das Musikinstrument mit einem Flaschenzug hochwand. Und noch mehr Achs und Ohs erfüllten die Luft, als man das schwebende Fortepiano durch die Fensterrahmen zwängte. Das war geradezu ein musikalisch-dramatischer Moment!

Aber die Prozedur wurde erfolgreich abgeschlossen — was wiederum dem Architekten des Hauses alle Ehre machte, der in weiser Voraussicht berechnet hatte, daß kleinere Fenster das Ende aller Komponisten bedeuten würde.

Jedenfalls wurde das Klavier heil und glücklich in die Wohnung gebracht. Und der Komponist fing gleich an, darauf zu klimpern. So daß die Mieter aus dem vierten Stock im Galopp, hopp, hopp! zum Hausverwalter gerannt kamen, um sich zu beschweren. Sozusagen: die Hellhörigkeit sei gar zu erstaunlich! Sind unmusikalische Menschen — diese Mieter des vierten Stockwerks! Banausen! Man denke sich nur: Klavierspiel stört siel Sie wollen keine Musik hören! Wo ich doch zum Beispiel ganz klar und deutlich vernehme, wie in der Nachbarwohnung die Katze niest. Und ich laufe darum nicht gleich weiß Gott wohin, mich über die Töne zu beschweren. Zumal ich sehr gut verstehe, warum das Kätzchen niest. Wie soll es auch nicht? Die Fensterrahmen bei uns sind schief, die Türen krumm, und auch durch die Ritzen des Parkettbodens zieht es. So hat sich eben das Tierchen verkühlt und niest halt. Wenn es warm wird, im Frühling, wird das Tierchen schon mit dem Niesen wieder aufhören! Aber das sind alles unbedeutende Kleinigkeiten! Kinkerlitzchen! Und nicht auf solche architektonische Nichtigkeiten war das Hauptaugenmerk unseres Architekten gerichtet. Sein Hauptziel war — so müssen wir annehmen —, das Gebäude möglichst formschön zu gestalten.

Nun, in künstlerischer Hinsicht ist unser Haus sogar wunderhübsch. Es sind da so verschiedene Stuckverzierungen: Blumengirlanden und Kringelkreise. Und das schmeichelt natürlich dem betrachtenden Auge. Unter den Blumengirlanden sind sogar Pferdeköpfchen modelliert. Und auch diese von Zeit zu Zeit anzuschauen, ist nicht uninteressant.

Außerdem ragen — ich weiß nicht warum — vom dritten Stockwerk ab zwei Säulen nach oben. Und kosten nix — wie man so sagt. Im Grunde genommen sind die beiden Säulen überflüssig. Denn die Bestimmung einer Säule ist doch, irgend etwas zu stützen. Diese beiden scheinen aber nichts dergleichen zu tun. Um ganz genau zu sein — so ist es eher das Haus, das die Säulen trägt. Aber auch das ist gut. So fällt die antike Kunst nicht herunter! Denn wenn solch ein Säulenkoloß herunterfiele ... dann — danke schön! — für alle griechische Architektur!

Aber schon drei Jahre geht alles gut und glücklich — was aufs neue beweist, wie ausdauernd und haltbar bei uns die hellenische Kunst ist.

Besonders originell ist unser kleiner Hof erbaut. Auch — wenn Sie wollen — im hellenischen Stil. Doch schon etwas Römisches ist hier spürbar. Zuweilen erinnert er mich an römische Bäder oder pompejanische Innenhöfe — für Haushaltungszwecke!

Der kleine Umfang des Höfchens hat den Architekten in seinem Streben nach Außergewöhnlichem keineswegs gehindert. In der Mitte des Hofes steht ein großer Brunnen. Ein Bassin! Und in dessen Mitte eine weibliche Gipsfigur! Mit Krug natürlich. Und all das sieht man ganz gerne, wenn man abends mit einem kleinen Schwips durch den Hof nach Hause schlendert.

Nein, nein! In künstlerischer Hinsicht hat unser Architekt sein Maximales gegeben. Auch etwas weniger hätte vollauf genügt! Wenn man nämlich bedenkt, daß der größte Schmuck des Hauses die Menschen sein sollten, die es mit ihrem modernen Leben erfüllen.

Kurzum und grundsätzlich betrachtet, erscheint es uns als Minuszeichen, daß unsere Architekten, indem sie moderne Wohngebäude aufführen, sich immer wieder — und ich weiß nicht warum — auf die griechische Antike besinnen! Immerhin ist's — Gott sei Dank — nicht das alte Ägypten. Mit seinen Pyramiden!

Aus dem Russischen übertragen von Grete Willinsky

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