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IM STREIFLICHT

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P S gibt Komponisten, die sich gleichzeitig auch als Musikkritiker betätigen. Wenn es sich nicht gerade um Robert Schumann oder Claude Debussy handelt, gelten diese beiden Funktionen, öffentlich ausgeübt, als inkompatibel.

— Es gibt anderseits Musikkritiker, die eine vollwertige Ausbildung in allen musiktheoretischen Fächern genossen, vielleicht früher auch komponiert haben, aber nunmehr,, solange sie ihr kritisches Amt ausüben — oder aus Gründen der Selbstkritik —, ihre eigenen Partituren in der Lade ruhen lassen. Wenn nun gewisse Komponisten, in ihrer Eigenschaft als Musikkritiker, alle Andersdenkenden als blutige Laien oder bestenfalls als Dilettanten hinstellen, so ist diesen Herren zu sagen, daß sie weder das vielberufene Fachwissen

— noch freilich auch Takt und Selbstkritik gepachtet haben. Was hiermit nachdrücklich — und die Diskussion mit der „Wiener Zeitung" vorläufig abschließend — festgestellt sei.

C REMDE mit dem Baedeker in der Hand, vor allem Gäste aus Deutschland, waren zur Zeit der Frühjahrsmesse keine seltene Erscheinung in den Straßen Wiens, besonders in der Altstadt. Von Fremden wurde ein Einheimischer nach Schwinds Geburtshaus gefragt. Er wußte, daß sich das Haus in ziemlich vernachlässigtem Zustande befindet. Als er aber mit den Fremden vor dem schönen Barockhause im Licht der

Mittagssonne stand, stieg ihm die Schamröte ins Gesicht: Eine abbröckelnde Fassade, verschmutzte Fenster, ein entstellender Ladeneinbau, die Gedenktafel kaum leserlich, und als Krone des

Ganzen: ein im Hausflur eingebauter permanenter Würstelstand pv AS letzte Premierenstück im Theater in der Josefstadt „Das kleine Teehaus" („The Teahouse of the August Moon") wurde in diesen Tagen mit dem Pulitzer-Preis für dramatische Werke ausgezeichnet. In Amerika seit langem ein Erfolg, kam es Ende April in London und in Okinawa — dem Orte der Handlung, wo seit kurzem wirklich ein „Teahouse of the August Moon" steht — zur Aufführung, in Berlin wird es Anfang Juni, in Paris erst im Herbst gespielt werden. Und Wien, das die Premiere für Anfang April angesetzt hatte, hat den Termin inzwischen um zwei Monate verschoben, ehe es nun in dieser Woche herauskam. Es wäre auch zu schön gewesen, einmal die ersten sein zu können und nicht immer nur nachzuspielen. Wenn die Festwochen nicht wären, hätten wir wohl auch noch die Berliner Aufführung abgewartet

PINEM Besucher von Kunstausstellungen, der sich in der Mittagspause eine Stunde frei gemacht hat, kann es in einigen Wiener Galerien passieren, daß er statt der Bilder nur ein Schild zu Gesicht bekommt, das ihm mitteilt, daß die Ausstellung in den (Mittagsstunden geschlossen sei. In der Zeitung las er’s anders; sonst hätte er sich den unnötigen Weg erspart. Schön und gut, wenn die Angestellten einer Galerie in der Mittagszeit essen gehen wollen. Sie sollten dies aber auch, falls sie keine Vertretung bestellen, der Oeffent- lichkeit rechtzeitig kundtun und sich nicht damit begnügen, die Tür zuzusperren.

NjEBEN den teils farblosen, verwetterten Schir- ‘ men der „fliegenden“ Verkaufsstände am Donaukanal ist in diesen Tagen ein bunter Vogel aufgetaucht, mit blauem und gelbem Gefieder. Passanten bleiben neugierig stehen, horchen —-. und lesen. Es ist zwar keiner aus der Gilde der „bouquineurs" vom Strande der Seine, einer mit alten Schmökern für Bücherwürmer; es ist eine. Gemeinschaft, die für neue Bücher, fürs Lesen guter Bücher wirbt. Also nicht bloß die Sensationsreportage der neuesten „Illustrierten" oder der Colt des „Westers" zieht, sondern Gerhard Hauptmann und seine neue Gesamtausgabe. Schade nur, daß — man hierzulande nicht auf die Idee kam. „Die größte Buchgemeinschaft des Kontinents", wie sie sich nennt, ist keine österreichische.

D UDOLF Borchaidt meinte einmal, daß Poesie dann Kunst au nennen sei, wenn auch ein Ameisenhaufen Kunst genannt werde. Ihr Geheimnis sei es, daß sie sich nicht erlernen lasse wie Malerei oder Musik sondern daß sie sich, unabhängig von der Handfertigkeit ihres Urhebers, in mehr oder weniger reinen Formen konkretisiere. Ein Wiener Schriftsteller ist anderer Ueber- zeugung: Seit einigen Monaten hält er in der Wiener Urania ein Autorenstudio ab, in dem er jungen „Dichtern" das Handwerk beibrmgen will. Er ist der Ansicht, daß man Schreiben ebenso lernen kann wie Malen oder Komponieren, und hält sein Auditorium dazu an, die „erste Kindheitserinnerung" oder die Gedanken und Empfindungen zu Papier zu bringen, die eine bestimmte Farbe in ihnen hervorruft. Das soll zu Ergebnissen geführt haben, in denen sich die jungen Schreibenden unmittelbarer — und deshalb wesentlicher — ausspraehen, als in ihren sämtlichen bisherigen Gedichten. Wir glauben nicht recht daran, daß jemals e; bedeutender Dichter aus dieser Schule hervorgehc-n wird. Aber wenn das Experiment bloß allen Beteiligten klarmacht, daß sie keirie Dichter und schon’ gar keine Genies sind, sondern daß sie bestenfalls korrekt und konkret schreiben können, hat es schon voll und ganz seinen Sinn erfüllt.

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