6768078-1968_42_18.jpg
Digital In Arbeit

In Brünn sprachen die Musen

Werbung
Werbung
Werbung

Zum drittenmal hat die Stadt Brünn ihr kurzes Musikfestival durchgeführt, das sich durch klares, eng begrenztes Konzept, strenge Auswahl des Programms und kleines, aber sachkundiges Publikum auszeichnet. Nach Martinu (1966) und vorklassischer Musik (1967) war es diesmal „Janacek et musica euro- paea", eine Konfrontation des großen mährischen Meisters mit seinen Zeitgenossen wie Debussy, Strawinsky, Schönberg, Berg, Bartok, Honegger. Die plötzlich hereingebrochene Okkupation schien alles in Frage zu stellen, brachte auch finanzielle Schwierigkeiten. Aber es wurde eine Demonstration des „Nun erst recht“: „… sind wir überzeugt, daß die Verwirklichung des Festivals zu einer internationalen Solidarität und gegenseitigen Verständigung der breitesten internationalen musikalischen Öffentlichkeit beitragen dürfte.“ Und dann folgte im Brief eine verklausulierte, aber doch deutliche Beschwörung, trotz allem zu kommen, auch wenn das gleichzeitige wissenschaftliche Kolloquium verschoben werden mußte.

Und es kamen viele — dem Wesen des Festivals entsprechend hauptsächlich Musikfachleute. Aus den meisten westeuropäischen Ländern, aus Rumänien, Jugoslawien, USA — nur die Besatzungsmächte waren nicht eingeladen worden. Einige wenige kamen von dort auf eigene Kosten. Dr. Rudolf Peimann, der junge, mit Begeisterung rührige Sekretär des Festivals, umarmte glücklich jeden Ankömmling, gab ihm das Gefühl, daß gerade er zum Gelingen des Festivals unentbehrlich sei. An die hundert kamen im Laufe der zehn Janacek-Tage zusammen. Am Anfang stand eine kurze Ehrung am Grab des Komponisten — der August war sein 40. Todestag gewesen. Alles fuhr brav und bieder mit der Straßenbahn hinaus: der Chor, die Kränze, die übrigen Gäste. Keine vornehmen Limousinen, schlichte, ehrliche Dankbarkeit am Grabe eines Großen. Im Festsaal des Rathauses am Platz der Völkerfreundschaft sprach dann der Leiter der Musikabteilung im Prager Kulturministerium aufmunternde Worte. Die Musen müßten jetzt sprechen, damit die Kanonen schweigen. Es fehlte die Prominenz, es fehlten Snobs und Klimbim. Man war nach den unvermeidlichsten zeremoniösen Pflichten ganz bei Janacek.

Mehr noch, als ursprünglich geplant. Denn die Ausladung der Dresdener Staatskapelle und eines sowjetischen Dirigenten, die auch den Verzicht auf westliche Künstler notwendig gemacht hatte, zwang zur Programmreduzierung, besonders auf Kosten der Zeitgenossen Janaceks. Und sogar bei diesem selbst wurde alles ausgetauscht, was von russischer Thematik ist („Katja ßabanowa“, „Taras Bulba“), bis auf die Dostojewski-Oper „Aus einem Totenhaus". Diesen erschütternden Bericht von der sibirischen Gefangenschaft konnte das tschechische Publikum kaum als unaktuell empfinden.

Die vorübergehende Verbannung von allem, was aus den Besatzungs- ländem kommt, ist keine Erfindung des Brünner Festivals, sondern wird jetzt in allen tschechoslowakischen Theatern (mit unterschiedlicher Konsequenz) praktiziert. Nur wurde es bei Janacek zu symbolhafter Ironie, weil dieser mit seiner russophilen Gesinnung bisher ein beliebtes Beweisstück für die Freundschaft der beiden Völker war. Tragischer Irrtum bei Janacek wie bei den Tschechen die Gegenliebe hlieb dürftig. Janaceks Werke sind in der Sowjetunion kaum bekannt und werden immer noch weiterhin als „formyliT stisch“ empfunden!

War das Programm auch reduziert, so zeigte sich doch, daß es sich bei einem Minimum an Verständnis für die Musik des 20. Jahrhunderts sehr gut eine Woche lang mit Janacek leben läßt. Die frische Vitalität seiner Werke überraschte jeden Abend aufs Neue. Leicht gealtert sind allenfalls die literarischen Vorlagen, wie etwa bei der Sinfonischen Dichtung „Das Kind des Musikanten“ nach Svato- pluk Cech. Aber Janöek hat ja nicht im strengen Sinne „Programm- miusik“ gemacht Man kann von der Literatur auch absehen. Leider überwinden die prachtvollen Männerchöre nach den an sich guten Gedichten von Petr Bezruö nur schwer die Sprachschwelle. Um so erfreulicher, sie hier einmal zu hören. Überhaupt ist es auch für den, der die Sprache nicht versteht ein Genuß, die Opern Janaceks im Original zu erleben. Auch die beste Übersetzung kann nicht vergessen machen, daß der Komponist sich eng an die Sprachmelodie angelehnt hat und auf Schritt und Tritt Sprachstudien betrieb. Auch auf der Straße, auf Auslandsreisen, ebenso wie im heimatlichen Wald bei den Vögeln. Ein erschütterndes Dokument bewahrt das Janacek-Museum in den ehemaligen Wdhnräumen des Komponisten auf: die letzten Worte seiner sterbenden Tochter Olga hat er auf kleine Zettel mit der zugehörigen „Melodie“ notiert, um auf seine Weise etwas von dem geliebten Menschen festzuhalten.

Die besten Kräfte aus Prag und Brünn waren aufgeboten, um den ausländischen Gästen, die zum Teil zu Hause sehr selten Gelegenheit haben, die Werke zu hören, einen authentischen Eindruck zu vermitteln. Dabei waren die Konzerte dank dem Janaiek-Quartett, Chor und Orchester der Brünner Philharmonie, der Tschechischen Philharmonie u. a. auf einem fast durchweg hohen Niveau, während die Opernaufführungen zwar musikalisch zufrieden- stellten, aber szenisch Wünsche offenließen. Wenn hier eine Besserung einträte, könnte Brünn, die langjährige Wirkungsstätte des Komponisten, zur international anerkannten und Maßstäbe setzenden Pflegestätte Janaöeks werden. Nicht zuletzt auch, weil in Zusammenarbeit mit den örtlichen Musikwissenschaftlern viel zur Aufhellung der überaus schwierigen Interpretations-Probleme getan wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung