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IN MEXIKO

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Auch in Mexiko, einem katholischen Land, wird dieser Tag, den man „Tag der Toten“ nennt, gefeiert, obwohl er im Kalender als ,,dia de les fieles defuntes“ oder „Tag der getreuen Ver-t storbenen“ bezeichnet wird. Auch hier gehen die Leute auf den Friedhof, schmücken die Gräber, aber die Stimmung ist eine andere. Bei uns erweckt schon die Natur mit ihrer Herbststimmung, Kühle, ihrem Nebel einen traurigeren Seelenzustand. während der Mensch hier dm vollen Grün und Sonnenglanz diese Hilfe zum ernsten Nachdenken nicht hat. Doch liegt vor allem ein Unterschied in der Beziehung zum Tode, die in Mexiko eine grundlegend andere ist; es besteht hier nämlich keine Angst vor ihm, wie bei uns. Vielleicht ist dies ein Überbleibsel aus jenen Zeiten Mexikos, als es Jahrhunderte lang Menschenopfer gab, als die aztekischen Stämme einander oft nur mehr zu dem Zweck bekriegten, Gefangene für die Opfer zu haben, als manchesmal sogar Kinder dafür ausgesucht wurden, und der Tod also* eine alltägliche öffentliche Erscheinung war, daher beinahe jedermann auf ihn vorbereitet sein mußte. Die Krieger wurden mit den Dornen von den Enden der Agavenblätter, die sie sich in den Leib stachen, zum Leiden erzogen und gingen ruhig in den Tod.

Schon damals wurden den Verstorbenen ihre Sachen und auch Speisen ins Grab mitgegeben für den weiten Weg, und so tragen auch heute die' Hinterbliebenen am Allerseelentag Speisen und Getränke aufs Grab - die sie verzehren, als Säften sie mit den Toten zu Tisch, und es ist eher eine Unterhaltung mit den Verblichenen und ein ruhiges Gedenken, als Trauern. Hinter der Friedhofsmauer ist es lustig, es sieht aus wie bei uns zur Kirmes. Überall Stände mit Blumen, Speisen, Bier und Pulque, einem gegorenen Getränk aus dem Saft der Agave, Gruppen von Musikanten spielen auf, es gibt Schaukeln, Karussells, Schießbuden, man trinkt und belustigt sich. Kinder spielen, tragen Totenmasken, Totenköpfe aus Zucker werden verkauft, Brot der Toten, das sind kleine Laibe von weißem Mehl mit kreuzweis aufgelegten Teigknochen; kurz, keinerlei Trauer, kein Leid. In manchen Orten, wie auf der besonders bekannten Fischerinsel, Janitzie auf dem See Patzeuare in Mittelmexiko, werden die sogenannten „Veladas“ in der Nacht auf Allerseelen veranstaltet, wo die Frauen die Nacht an den von Kerzen erhellten Gräbern der Verwandten verbringen, ebenfalls mit Speisen und Getränken, und diese Szenen mit den ruhig sitzenden oder knienden Gestalten, vom Kopf in einen dunklen Überwurf eingehüllt, sind das Ziel vieler Touristen und Sujet zahlreicher Maler. In anderen Orten werden daheim in einem Gefäß mit Öl an Korken oder Pappe befestigte Dochte verbrannt für jedes Verstorbene Mitglied der Familie. Anderwärts wieder herrscht die Gepflogenheit, zu Hause ein Mahl für die Toten zu richten, Tische, gedeckt mit Speisen, Blumen, Obst, Kerzen und frommen Bildern. Im Süden laufen anstatt der Totenschädel aus Zucker, der „Calaveras“, satirische Pamphlete gegen Persönlichkeiten der Öffentlichkeit um, die mit Totenschädeln statt Köpfen abgebildet werden.

In der Siedlung Mixquiq, nahe der Hauptstadt, schmückt man auch nachts die Gräber, und dabei werden Preise für die beste, von Ortseinwohnern verfertigte „Calavera“ erteilt. Es handelt sich in diesem Falle um die Veranschaulichung des Todes in verschiedenen Auffassungen.

Wie in Janitzie, so ist auch hier der Blick auf den Friedhof voller Lichteindrücke, mit verschieden angeordneten Kerzen auf den Gräbern und kleinen Flämmchen, vor denen die Weiber knien und Kinder in primitive Weihrauchgefäße blasen und wo geduldige Hände gelbe Blüten in die Form eines Kreuzes auf dem Grab ordnen. Im Inneren des kleinen Friedhofkirchleins steht ein großer Sarg, umringt von betenden Frauen mit einem Priester. Plötzlich entsteht auf der Gasse Fröhlichkeit: ein Aufzug mit Totenköpfen aus Pappe und Papierskeletten naht, die um den alljährlichen Preis konkurrieren werden. Der Zug hält vor den Preisrichtern an, die Verleihung der Preise geht nicht ohne Proteste der Unterliegenden ab; sie beschuldigen die Richter, ihre Freunde und Verwandten bevorzugt zu haben.

Und all dies ist eigentlich ein Fest. Kein Schatten von Leid, von Trauer, die der Tod weckt. Der Besuch des Friedhofs ist nur ein Vorwand, damit die Leute miteinander plaudern, sich unterhalten können. Das Herstellen der Calaveras ist nur eine große Unterhaltung, gesteigert durch die Hoffnung, allenfalls einen Preis zu erhalten, und nicht einmal die Zeremonie bei dem Kirchlein bleibt von dem Gesamteindruck der Fröhlichkeit bewahrt. Mit den Lichtern und dem heiteren Aufzug der Bevölkerung hat all dies noch etwas Heidnisches an sich und macht eher den Eindruck einer Kirchweih, eines Jahrmarktes, übereinstimmend mit dem Bericht eines Soldaten des Cortez über ein ähnliche Fest der Azteken.

Übertragen von Inge TUielt

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