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Totenbretter am Allerseelentag

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Zwischen Krüppelföhren, krummen Erlen und schlanken, weißen Birken, die, des letzten goldenen Flitters ledig, ihr entblößtes Spiegelbild in schwarzen Torfstichtümpeln und Gumpen beschauen, führt, wie verworrenen Sinnen gewunden, ein Steig durch die Weite des verrosteten Moores. Da und dort säumen sargsdimale Bretter den Totenweg. neue, ältere und schon vermorschte. Mit Kreuzen sind sie geziert, manche mit den Sinnbildern des Sensenmannes, dem Knochenschädel über gekreuzten Beinen und mit ein paar Schriftzeichen, die den Namen und das Sterbejahr des Hinübergegangenen weisen, dessen entseelten Leib sie einst getragen : Totenbretter.

Wo die große Buche ihr laubloses Geäst mit klagender Gebärde himmelwärts reckt, gabelt sich der Weg, rechts führt er durdi das Holz, links zum Pfarrdorf. Diese Weggabelung ist eine Totenrast, eine Rast auf dem Wege, den der Leichenzug zum Friedhof nimmt. Hier stellen die Träger, wenn sie einander ablösen, die Bahre nieder und legpn das Totenbrett auf den Waldboden oder lehnen es an einen Baum, wo es als Mahnung des Verstorbenen, seiner im Gebete zu gedenken, bleibt, bis es vermodert und zerfällt.

Auch mitten im Wald kann man Totenbretter antreffen, oder bei Wegkapellen. Biidstöckeln und Feldkreu/cn, an Zäunen und Scheunen, einzeln, zu zweien oder dreien oder in großen Gruppen. Oft sind solche Stellen schon seit einer langen Geschlechterreihe für die Totenbretter bestimmt, die alten vergehen, neue kommen hinzu. Man findet sie als Stege über kleine Bäche gelegt, über Moorgründe und Moo.s-wiesen, wo sie leicht ins Auge fallen und denjenigen, der darüber hinschreitet, um ein Vaterunser für die abgeleibte Seele bitten. Solche Stellen werden deshalb gewählt, weil die Feuchtigkeit die Fäuln;s des Holzes beschleunigt und die Seele des Verstorbenen in der Meinung des Volkes solange im Fegefeuer schmachten muß, bis das Totenbrett zerfällt.

Kaum daß sich ein Totenbrett findet, dessen Jahrzahl weiter als siebzig Jahre zurückweist, denn es wird nicht älter als der Mensdi, heißt es. Ganz vereinzelt nur gehören sie der jüngst verflossenen Zeit an, ein Zeichen, daß der Jahrtausende alte Brauch des Totenbrettes nunmehr am Erlöschen ist.

Die Lex Baiuvariorum, das vor elfhundert Jahren im Kloster Niederaltaich in lateinischer Sprache aufgezeichnete älteste geschriebene Gcsfctz des bayrisdien Stammes, nennt das Totenbrett Rechbrett, nadi dem althochdeutschen rheo, das heißt bleich, ein Wort, das sich neben Leichladen in manchen unserer Gebirgsgegenden bis zum Tag erhalten hat. Demnach ließ man ursprünglich den Verstorbenen über das Recbbrett in die Grube gleiten — der heute bei uns noch gebräudiliche Ausdruck, „über das Brettl rutschen“, für Sterben, stammt daher — und deckte ihn damit zu, um ihn vor nachstürzenden Schollen zu schützen.

Später, da die Sargbestattung auch bei uns auf dem Lande allgemein geworden war, wurde der Verstorbene, ehe man ihn in die Truhe legte, auf dem Leichladen aufgebahrt, der dann nidit mehr vonnöten war. Da man sich scheute, das Totenbrett zu Nutzzwecken zu verwenden, stellte man es in bereits gesagtem Sinne am gegebenen Ort auf.

Der Brauch des Totenbrettes ist auf bestimmte Gegenden des ältesten bayrisch-österreichischen Siedlungsgebietes beschränkt, in Österreich' fast ganz auf das Salzburger Vorland und das .Hauptland des Leidi-ladenkultes, den salzburgischen Pinzgau, die Gegenden um Saalfelden, Lofer und Leogang, wo ganze Saheunen mit blau, grün, braun oder sdiwarz bemalten Leidi-läden bedeckt sind. Auch im Bayrischen und im Böhmerwald und an der bayrischen Donau bis zum Lech ist der Brauch des fotenbrettes lebendig geblieben.

Anno 998 bestimmte die Kirche den zweiten November als Tag der stillen Zwiesprache mit den Verstorbenen. So mächtig wurde dieser Sinn vom Volk erfaßt, daß der düstere Todesengel auch den Festinhalt des vorangehenden Allerheiligentages beschattet, daß in aller Heiligen Jubelgesang die Totenklage des Ailerseelentages hineintönt. Sdiwarz gewandete Menschen drängen zum Friedhof, schreiten zwischen den Gräbern und wenden ihr Herz lieben vom Leben Genesenen zu. Gestorbenes Laub raschelt auf den Wegen und liegt auf den Ruhestätten der Toten. Die hängenden Zweige der Trauerweiden sind zu Saiten von Totenharfen geworden, darin der Herbstwind klagt.

In der Nadit von Allerheiligen auf Allerseelen geht es dort, wo Totenbretter liegen, um, sagen die Leute. Nach dem Abendläuten kannst du an solchen Orten leises Wehklagen und Wimmern hören und über die Leichladen kleine, bleiche Flackerflämmdien huschen sehen. Das sind die armen Seelen in ihren Lohepfaidlein, die in der Aller-seelennnacht den Ort ihrer Pein verlassen dürfen. Jedes bleibt auf seinem Laden, bis vom nächsten Kirchturm die „armen Seelen ausgeläutet“ werden. Darum streut man am Abend des Allerheiligentages Brosamen auf die Totenbretter und stellt wohl auch ein Talglicht hinzu, damit, nach einer rührenden Vorstellung, sidi die armen Seelen mit den Brosamen atzen und mit dem Talg ihre Brandwunden salben und kühlen können.

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