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Jan

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Jan kommt aus seiner Kammer. Er hat seine sieben Sachen in den hölzernen Koffer gepackt und das Schloß geprüft. Es wird halten, denkt er, die lange, weite Fahrt — zurück — in die Heimat.

Seit drei Jahren ist er bei einem Gebirgs- bauern in den Alpen Knecht, ein stiller, unterwürfiger Knecht, wie Berg und Baum, unergründlich und schweigsam. Tu das! sagt der Bauer, und er tut das —, jenes!, und er tut jenes. Am Abend geht er zeitlich in seine schmale, dürftige Kammer. Das müßt ihr bedenken, wie müde eines wird bei steilen Wiesen und steinigem Acker, bei Auf und Ab mit Ochs und Karren auf fremder Erde.

Aber heut kommt Jan noch einmal die Stiegen herunter. Es ist einer der letzten Abende vor seinem Fortgang. Er hält einen Wisch von einem Schreiben in den Händen. Es kam plötzlich, wie alles Große, Überwältigende. Der Kriegsgefangene Jan Pjotr war der letzten Fessel frei, der Weg in sein fernes Land stand ihm offen. Im Grunde war er all die drei Jahre den Menschen am Berg fremd geblieben. Was wußten die schon von ihm? Daß er eine harte Sprache redete und eine Miene von Stein trug. Seine Ruhe hatte die seltene Ruhe eines lange gefangenen Tieres, ein Stück Abgestumpftheit und Müde lag in ihr. Er konnte warten wie im Berg, so zeitlos lebte er nach innen. Die Gezeiten des Jahres zogen brausend und brüllend, sanft und segnend über den Berg, dem er diente, und er ließ sich von ihnen tragen wie ein Schiff von den Wellen. — Wußte er, ob er nodi ein Daheim hatte, ob Weib und Kind noch lebten?!

Nur manchmal, wenn er in den Bergwäldern holzte und ein Baum krachend niederbrauste, spürte er den großen Waldatem seiner fernen Heimat und strich mit rauher Hand über die rauhe Rinde. Da war etwas Vertrautes von Jugend her. Solche Riesen wuchsen auch in seinem

Land, gewaltig und schön —, oh, Mütterchen, sagtest du nicht deinem Kind die alten Sagen der großen Bäume?

Ja, den Wald liebte Jan mit einer seltenen Inbrunst. Und er beschloß, da es nun ernstlich ans Scheiden ging, von dem einzigen wahren Freunde Abschied zu nehmen. Morgen, sagte er zum Bauer, mach’ ich dir Holz am Kendel, helles, gutes Holz. — In einer Woche dann ist Jan fort — weit fort. — Laß das, sagt der Bauer, es ist davon genug vorm Haus, einen Tag kannst du immerhin feiern! Jan nickt stumm. Gut, geh ich in den Wald, guter, schöner Wald, wie in der Heimat.

Das ist ein Glück für dich, daß du nun heimkommst, sagt der Bauer und stellt ihm einen Trunk auf den Tisch. Das glaub’ ich dir! Jan zuckt die Achseln. Glück? kann sein, kann nicht sein. Glück, sagt er, was ist Glück auf Welt? Aber ja, tut er schnell Heimat Wiedersehen —, oh ja, ist schön, ist schön.

Also auf gute Reise! Lacht der Bauer. Die Gläser klingen. In einer Woche, sagt Jan, und erhebt sich vom Tisch, weit fort

— weit fort. Gute Nacht!

Am Morgen geht Jan noch einmal den täglichen Gang, am Bache entlang, zu der Säge. Gerade legt der Sagmeister einen neuen, blanken Stamm ein, ruckt den Hebel auf, läßt das Wasser einschießen. Hei, wie sich das Gatter ins Holz frißt! Wie es kreischt und schreit, stäubt, zittert und ächzt. Jan steht davor. Eine jähe, helle Freude schießt in ihm auf, wie eine Flamme, eine lodernde Freude. Holz! denkt er, lebendiges, saftiges Holz. Und greift bei dem Sägeschupfen um eine blinkende Axt. In den schweren Schaftstiefeln geht er zum Hack stock in den Lattenverschlag. Dahinter fährt eine feuchte Halde steil auf zum Oberberg, auf dem mächtige Stämme geschlägert lagern.

Es ist ein trüber, regenfeuchter Tag. Der Bach rumpelt, die Säge kreischt. Jetzt bebt Jan die Axt. Butterweich spellt sich das Holz; die stärksten Klötze sucht er. Ist das die Freade, der Abschied, daß er seine Lust daran spielen läßt? Seine stählerne gesunde Kraft prüft? Das Leben hält ihn so in den Armen. — Er hört nicht mehr das Rauschen des Bergwassers, das Brummen der Säge, den verwehten Schrei des Sagmeisters. Er sieht nicht den mäditigen Stamm vom Oberboden über den Hang rollen, polternd, überschlagend auf die Lattenwand zu, hinter der er werkt. Er ist nur mehr und mit einemmal völlig überwältigt von dem Gedanken an das Kommende. —

Das Kommende. Das bricht nun in die Lattenwand ein wie ein Dolch, ein hölzerner Teufel, der ihn anfällt, ihm die Brust zermalmt und ihn weit über den Hackstod; hinaus bis zum Bach schleudert. —

Bis der Sagmeister herbeihumpelt, liegt Jan neben dem glatten, mäditigen Baum, erschlagen von dem Freund, von seinem Wald. Es hat keine Woche gebraucht, er ist heute schon fort. Weit fort — auf gewaltiger großer Reise. Und es ist das erstemal, daß sein rätselhaftes Antlitz ein leises geheimnisvolles Lächeln umspielt.

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