6583362-1951_30_11.jpg
Digital In Arbeit

„Jedermann“ für jedermann

Werbung
Werbung
Werbung

Inmitten der Großstadt, Ecke Triester Straße und Gürtel, vor der fremdartigen Fassade der evangelischen Kirche, spielt Gottfried Treuberg mit seiner Truppe — zugunsten des Kirchbaufonds — das alte Spiel vom Sterben des reichen Mannes in der Fassung Hofmannsthals. Auch hier tönt, wie in Salzburg, die Orgel aus der Kirche und ruft die Glocke und rufen die Stimmen nach Jedermann. Aber es ist kein prunkvoll-festlicher Rahmen und keine weihevolle Stille um diese Aufführung. Ein paar grüne Büsche und die Grabkreuze des Friedhofs bilden das Dekor, Straßenbahnen kreischen* Autos hupen und Züge fahren donnernd vorüber. Eine armselige Bühne aus rohen Brettern, darauf kein barocker Prunk, sondern eher ein Plüschsalon im Geschmack der neunziger Jahre... Und doch: welche Wirkung, welche Ergriffenheit und Spannung, mit der die Menschen dem Spiel folgenl — In dieser Umgebung hat das Wort des Dichters eine schwere Probe zu bestehen, und es besteht sie glänzend. Das natürliche und ausdrucksvolle Spiel zwingt vom ersten Wort des Ansagers alles in seinen Bann.

Wir erinnern uns, daß nach Kriegsende, als zum erstenmal wieder Hofmannsthals „Jedermann“ in Salzburg gespielt wurde, kritische Stimmen sich erhoben, die das Stück als überholt, unzeitgemäß und nicht mehr gültig bezeichneten. Wer e6 in diesem Milieu gesehen, wird anderer Meinung sein. Und wir sollten uns gut überlegen, den „Jedermann“ in Salzburg fallen zu lassen, jetzt, da man fast jede Woche in einer Zeitung von neuen Aufführungen lesen kann: durch Studenten- und Laienspielgruppen, vor dem Münster und im ehrwürdigen Saal des Augustinermuseums in Freiburg, vor der Kathedrale Saint-Jean in Lyon, im meistbevölkerten Viertel der großen Industriestadt. Für diese Aufführung hat Jacques Hebertot das Stück ins Französische übertragen, und zwei Musiker, die das Spiel aus Salzburg mitbrachten, schrieben eine neue

Musik dazu, die Tafellieder, Volkstänze und ein Halleluja aus dem Rhonetal verwendet. — In seinem Vorwort, das die neue Aufzeichnung „Jedermann“ rechtfertigen soll, schrieb Hofmannsthal in aller Bescheidenheit: „Vielleicht geschieht es zum letztenmal, vielleicht muß es später durch den Zugehörigen einer künftigen Zeit noch einmal geschehen.“ — Vorläufig scheint seine Fassung noch gültig zu sein. *

„Ein Stück für Sänger, Musiker, Schauspieler und Tänzer“, nennt der elsässische Komponist Leo Justinus Kauffmann (1901 bis 1944) seine Kammeroper .Das Perlenhemd', die wir in einer Aufführung der Staatsakademie kennenlernten. Eine altchinesi6che Novelle erzählt von einem Perlenhemd, das — Symbol der treuen Liebe — von einer Hand in die andere gerät, in reine und gierige Hände, bis es schließlich wieder zur ursprünglichen Besitzerin zurückkehrt. Wer dächte da nicht an den'„Reigen“? Aber dies ist, trotz des lustspielhaften Schlusses, ein ernstes und zartes Stück, zu dem L. J. Kauffmann eine diskret orientalisierende, feine Musik geschrieben hat, Sie klingt etwa so, wie wenn man aus altdeutschen Liedern und Tänzen eine dramatische Suite zusammenfügt und diese ins Orientalische überträgt. Im Stil eines nicht näher zu bestimmenden Morgenlandes — am ehesten noch an Persien erinnernd — waren die zartfarbigen Bühnenbilder und Ko6tüme von G. Neumann-Spallat gehalten. Wilhelm Loibner leitete das mit kammermusikalischer Klangschönheit spielende Akademieorchester. Von den zehn Mitwirkenden seien wenigstens die Sänger genannt, die alle durch ihr angenehmes Timbre auffielen: Elisabeth Czernohorski und Erika Wien, Waldemar Kmentt und Franz Fuchs. — Für Aufführungen im kleinen Rahmen, insbesondere für Studierende, ist diese Kammeroper ganz besonders geeignet und kann zur Wiederholung empfohlen werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung