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Kaiser Franz Josepli und der kalte »Tod des Tiberi tis«

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Unser „Literaturoberleutnant“ an der Kadettenschule leistete meiner Deklamationsleidenschaft starken Vorschub. Er ließ mich bei jeder Gelegenheit auf wehrlose Zuhörer los.

Eines Tages schlug eine Nachricht wie ein Blitz in die Schule ein und kehrte das Unterste zuoberst: der Kaiser kommt! Allerhöchste Inspizierung in Sicht!

Den Schulkommandanten, einen cholerischen, rauhen Qustozzakämpfer mit martialischem Schnurrbart, streifte zuerst fast der Schlagfuß. Dann aber ging es los! Der Putzwahnsinn brach aus. Die riesigen Eisenöfen in den Schlaf- und Lehrsälen wurden mit Schuhwichs in spiegelnde schwarze Diamanten verwandelt. Die Strohsäcke wurden so lange „gestopft“, bis sie sich in kubische Gebilde von der Härte eines altägyptischen Ziegelsteines verwandelten; die Gewehre wurden geputzt, als würde der allerhöchste Kriegsherr in jeden Lauf höchstpersönlich hineinsehauen.

Es flogen Worte auf Zimmern und Gängen herum, die nicht alle im Knigge standen. Und die Stimme unseres „Alten“ durchdröhnte das Haus wie eine Fabrik? Sirene.

Aber nicht nur die Außenseite, auch das Innere der jungen Krieger sollte vor dem Kaiser glänzen. Ein umfangreiches Inspizierungsprogramm gab Gelegenheit, Lehrer und Schüler auf Herz und Nieren zu prüfen. Die Klasse, in die der Kaiser zum Schluß kommen sollte, mußte natürlich den Vogel abschießen und mit einem Knalleffekt die Vorführungen beenden. Man war auf einen guten Abgang bedacht.

Wer macht das? Der „Schuldeklamator“!

Ich bekam den Befehl, mit dem wirkungsvollsten Gedicht der ganzen Weltliteratur zu beweisen, daß auch die Musen in einer Kaserne daheim sein können. Acht Tage lang schmetterte ich den „Tod des Tiberius“ von Geibel, in dem ich alle Register ziehen konnte, meinen Kameraden in die Ohren. Es war ein Wunder,daß sie midi nicht schon vor dem großen Tag gelyncht haben.

Alles war im schönsten Gang, da wurde dem Jahrgangsersten, einem sehr tüchti- gen jungen Krieger, der aber sehr unter Trema litt, befohlen, er müsse, als direkte Huldigung für den verehrten Kaiser, noch vor mir das kurze Gedicht Hoch lebe das Haus Österreich“ sprechen. Nach Ihm könne ich dann loslegen und dadurch die Schleusen des erhofften kaiserlichen Lobes öffnen.

Der große Tag kam; der 10. März 1891, mein neunzehnter Geburtstag, was mir natürlich als besonders liebenswürdige Fügung des Schicksals erschien. Vierhundert stramme, mit Begeisterung und Spannung zum Platzen vollgeladene junge Krieger standen seit sechs Uhr früh hinter ihren Pultbänken und mucksten sich nicht.

Langsam und totenstill rieselte die Zeit, Langsam, langsam verstrichen die Minu- ten, wuchsen zu Viertelstunden, zu Stunden.

Endlich schmetterte schneidend und hell das Avertissementsignal vom Kasernentor herauf. Wie aus weiter Feme klingelten leise viele silberne Sporen — der Kaiser hatte die Schule betreten. Leicht aufschlagende Säbel schleppten über die Steinfliesen, gedämpfte Stimmen geisterten durch das Haus. Allmählich — man nahm es mehr mit den Nerven wahr als mit den gespitzten Ohren — kam . dieses „Etwas“ näher und näher — dann flog die Tür auf — ein gellendes „Habt acht!“ durchschnitt die Luft — und die Schwelle überschritt etwas unendlich Hoheitsvoll- Freundliches in einer Aura aus lauter Licht und Gold und hellem Blau, ein schlanker General mit funkelnden Ordenssternen, in der Hand den Hut mit den leuchtend grünen Federn; der Kaiser!

Es lief mir heiß und kalt über den Rücken.

Der Oberleutnant meldete. Die Suite gruppierte sich. — Dann Stille. —

„Bitte, fahren Sie fort.“ Der Kaiser hatte es zum Lehrer gesagt.

Nun wurde der Name des Klassenersten gerufen; das befürchtete Unglück nahm ęeinen Lauf.

In der ersten Bank am Eckplatz erhob sich langsam eine „grüne Wasserleiche“, schwankte irgendwohin ins Nirwana, blieb mit versagenden Knien im leeren Weltraum stehen, versuchte den Titel des ihm befohlenen Gedichtes hervorzuwürgen — knickte zusammen — schwankte zurück und fiel vernichtet auf sein Stockerl.

Totenstille.

Der Oberleutnant wurde gelbgrün, der „Alte“ violettbraun, der Schnurrbart sträubte sich, die Augen schossen Blitze .

Die Suite murmelte, der Kaiser — der Kaiser — er lächelte — nichts geschah. Nichts. Nur fürchterliche Stille war, Da blięb nur eines übrig: Weltuntergang!

Das war die „große Sekunde“ für mich. Ich mußte retten! So sprang ich denn auf, marschierte aus meiner Bank heraus, jeder Zoll „ein Held“, im Stechschritt auf den Kaiser zu. Die Absätze klappten, Verbeugung wie aus einem Scharnier. Dann Aug in Aug mit meinem Kaiser, regungslos wie ein Pfahl. Und nun, ein tiefer Atemzug — und eine furchtlose Jünglingsstimme schmetterte den Titel des Gedichts in die Luft: „Der Tod des Tiberius!“

Der Kaiser — er lächelte, die Suite lächelte; die Lehrer bekamen wieder natürliche Farben. —- Und ich kam in volle Fahrt! Ich ließ den armen Kaiser Tiberius sich in Todesqualen winden. Die Zeilen flössen, die Reime klangen. Tiberius wand sich verzweifelt weiter und starb nur langsam.

Er stirbt zu langsam, schießt es mir durch den Kopf. Viel zu langsam! Dies denke ich, während ich schmettere. Das dauert zu lang. Der arme Kaiser Franz Joseph hält den Tod des Kaisers Tiberius nicht aus. Nach diesem Nervenschock mit dem vorigen Versager.

Ach was! Meine Gedanken laufen ohne Lampenfieber neben den Versen: Ich mach Schluß! Bei der nächsten Gelegenheit mach ich Schluß!

Da kommt irn Gedicht ein Absatz! Ich trompete die letzten Worte in höchster Steigerung als Schlußeffekt hinaus: Fertig! — Klappe wieder eine tadellose Verbeugung herunter, und nun starre ich meinen Kaiser erwartungsvoll an, ob er deji Schwindel merkt. Er aber atmet sichtlich auf, geht leichten Schrittes auf mich zu, tippt mir auf die linke Schulter und spricht mit erlöstem Lächeln die denkwürdigen Worte: „Ein fabelhaftes Gedächtnis!“

Wie lange w$re ihm erst der ganze „Tod des Tiberius“ vorgekommenl Er nickte mir noch einmal freundlich lächelnd ?u, und unauslöschlich behalte ich die Erinnerung an dieser blauen Kaiseraugen gütigen Blick. Für einen solchen wäre jeder von uns in jugendlicher Begeisterung selbst in den Tod gegangen — und ich hatte ihn als Geburtstagsgeschenk bekommen, bloß für den — „halben“ „Tod des Tiberius“!

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