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Digital In Arbeit

Mein Schicksal, AAickey AA ousc

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Ich saß am Tisch und malte eine Mickey Mouse für ein großes Schaufenster. Strich für Strich malte der Pinsel die riesigen, runden Ohren, den breiten, offenen, lachenden Mund, die ditnnen Arme mit den wuchtigen Boxhandschuhen, die Säbelbeine in den ausgetretenen Schlappschuhen. Die Arbeit freute mich. Es war eine Freude, sich vorzustellen, daß täglich Tausende am Schaufenster Vorbeigehen werden und diese Mickey Mouse sehen und ihr Lächeln nachahmen und mit nach Hause tragen würden wie ein bißchen Sonne.

Neben mir ging das Radio. Langweilige Musik, die gut zum sicjh kräuselnden Rauch meiner nutzlos verbrennenden Zigarette im Aschenbecher paßt. Ich war sehr bei meiner Arbeit.

Dann verklang das Stück im Radio. Ich malte Strich für Strich weiter, ein gestreiftes Badehöschen und ein kühn geschwungenes Schwänzchen. Es gelang mir ausnehmend gut.

Ein dumpfes Pausezeichen, ein Sprecher. Das Wort „Kämpfer und Dichter“ fiel. Ich malte die schwarze Perle auf Mickeys Nase. Es erklangen Worte, Bruchstücke einer Rede, aber sie verflüchtigten sich, noch ehe sie in mein Ohr dringen konnten. Nur ab und zu nahm ich ein Wort auf, „Mauer", „Gott“ und andere. Ich gab Mickeys kohlschwarzer Nasenperle einen zarten, halbmondförmigen Glanz. Es ging mir alles so leicht von der Hand ...

Im Zurücklehnen betrachtete ich mein Werk. Am schönsten waren die klugen, zwinkernden, lachenden Augen. Die Schatten hatte ich auch gut gewählt. —

„Er duldete keine Schatten an den Figuren, die er liebte!" sagte das Radio. Dieser Satz drang in mich ein und ich lächelte. Da griff ich voll stolzer Müdigkeit zu meinen Zigaretten und brannte eine an. Aber das Streichholz blieb in der Luft hängen. Ich horchte ...

.... Es gab kein Maßhälten in ihm, nicht ln seirier Schmähung und nicht in seiner

Liebe... und es war kein einziger verbindlicher, kein einziger versönlidier Ton darin ..."

Ich warf das Streichholz weg und rieb meinen Finger. Langsam wichen meine Augen von der grinsenden Mickey Mouse weg zum Radio.

Es folgten mehrere Sätze, deren Sinn ich nicht verstand.

„... kahle Mauern im Katakombengeist ... geheime Wirkungen des Lichts ... je weiter eich die Geschichte entrollt, desto weiter entwickelt sie sich im Sinne Gottes.

Ich schob die feuchte Zeichnung weg und stemmte meine Arme auf den Tisch, und meinen Kopf in meine Hände.

„... Oh! Und das Glück! Krieg dem Glück! Für ihn war das Glück eine seelische Unzucht. ,Der Schmerz ist die einzige edle Leidenschaft', hat er einmal gesagt. Es gibt nichts übernatürliches auf Erden als den Schmerz!"

Er? Wer war dieser „Er?" „Kämpfer und Dichter", hatte der Sprecher am Anfang gesagt. Kämpfer und Dichter? Und Krieg? Und Schmerz? Und Glück? War das alles? — In der noch feuchten Farbe auf Mickeys Nase lag meine Zigarette, schon angesogen von nassem Blau.

Der blasse Kasten sprach weiter: „... Es gibt vieles, Leid, Elend, Not... aber es gibt nur eine Traurigkeit: kein Heiliger zu Sein!“ Ich merkte nicht, daß mein Atem rascher ging, daß die Lippen halb geöffnet waren, daß meine Arme schmerzten und meine Wangen glühten ich saß einfach da, versunken, eingehüllt in den wachen Traum einer Vision — in einer hörbaren Visioh, die die Augen nicht blendete; nur die Ohren schmerzten.

Alles, was ich hatte, horchte auf diese Stimme. Alles in mir holte alles in dem Kasten heraus, alles, was da an Lauten und Tönen und Worten und an Sinn war, schien deni Wort sogar vorauszueilen inschmerzender Schnelligkeit —- und kam doch zu spät, um das schon gesprochene Wort einzuholen.

.. Die Vereinigung mit Gott ist in den Heiligen verwirklicht... Eins werden tut not... die Seligkeit kann nur vorgestellt werden als eine ewige Himmelfahrt, in Donner und ewigem Ungewitter, nicht zu Gott, sondern mitten in Gott hinein ... Wir nennen das die ewige Ruhe...“

So sprach der Kasten — aber es war für mich kein Kasten mehr. Ich saß da, starrte auf den angehäuften Aschenbecher mit fahlen, nackten, häßlichen Zigarettenenden, und sah 6ie nicht. Ich sah auch nicht durch sie hindurch, ich sah bloß etwas: die Stimme, die Worte dieses Sprechers, die Stimme dieses Rufers, die aus einer weiten Feme kam und doch neben mir erklang, in einer beinahe furchterregenden Nähe, die so seltsam, körperlich war, daß sie schmerzte. Ich sah und hörte diese Stimme gleichzeitig, und ich brauchte sie nicht in mich aufzunehmen, weil sie von dem, der 6ie einmal gesprochen hatte, in mich hineingepflanzt worden waren, so tief, daß ich beinahe die Kraft der Wurzeln an meinem Herzen spüren konnte, wie sie ausschlugen und im Unterirdischen neue Wuržėln trieben, hierhin und dorthin, nach oben und Tinten, nach allen Seiten hin, besonders aber immer weiter in mein Innen.

Ja— und dann schwieg plötzlich die Stimme, und eine andere, fremde, kalte, nüchterne sagte etwas, wovon ich „Sendergruppe X" verstand und „Lėon Bloy und .Sprecher war... , alles Worte, die mir nichts bedeuteten. Ich kannte nur

Marlene Dietrich und Clark Gable und Bing Crosby.

Und als wieder leise Musik einsetzte, wachte ich allmählich auf, und ich sah die angekohlten Zigarettenstummel, und plötzlich umfingen meine suchenden, lialt- heischenden Augen mit entsetzlicher Klarheit die grinsende, heimtückische, polierte Fratze der Mickey Mouse mit protziger Nasenperle und höhnischem Grinsen. Da flammte es um mich herum auf: Armut, Geruch der Farben, ausgequetschte Tuben und Hunger und Schwärze, zu einem lodernden Brand, dem ich wehrlos ausgeliefert war. Ich riß mir die farbbekleckste Schürze vom Leib und schleuderte sie von mir. Mit einem Streich fegte ich Farben, Pinsel, Zeichnung vom Tisch.

In ewigem Ungewitter , hatte der Sprecher gesagt, nein, nicht der Sprecher, der eine, dessen Namen ich noch nie gehört hatte, der eine, der „Kämpfer und Dichter“, und „mitten in Gott hinein!

Das kleine, farbige Ungetüm blieb hinter mir auf dem Boden liegen und lächelte sein unsterbliches Grinsen, das morgen Tausende mit sich nehmen würden wie ein bißchen Sonne...

Die Nacht war sehr kalt. Als ich am Morgen heimkam, war ich müde zum Umfallen, hatte kein Geld mehr und war gelb im Gesicht. Auf meinem Zimmer hob ich Farben, Pinsel, Zeichnung vom Boden auf. Mickey Mouse war zerrissen. Ich begann es von neuem und bekam fünfzig Schilling dafür, zwei Tage später, nach weiteren zwei Nächten. Jetzt schalte idi das Radio nur mehr ein, wenn ich gewiß weiß, daß Jazz oder Sport oder Maxi Böhm kommt.

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