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Karl Roman Scholz

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Forschst du, was in meinen Werken Dichtung und was Wirklichkeit, folge dieser schlichten Formel, restlos gibt sie dir Bescheid: Alle Qual drin ist erlitten, alles Glück darin versäumt. Kurz, das Traurige ist Wahrheit, doch das Schöne ist erträumt.

Als ich am 23. Februar 1944, gefesselt, an der Seite meines zum Tode verurteilten Freundes Karl Roman Scholz den Justizpalast verließ, da fielen mit diese Zeilen ein. Der Dichter hatte sie mir einst im Gefängnis zugeflüstert, als wir einen unbewachten Augenblick lang vor unseren Zellen standen. Das Polizeiauto führte uns ins Landes gericht zurück. Hier, im sogenannten E-Trakt, am Fuße der Stiege, versuchten wir uns ein letztes Mal die Hände zu drücken; sie waren noch immer gefesselt. Die zum Tode Verurteilten blieben gleich im Parterre, in dessen kahlen Zellen sie der Hinrichtung harrten, während ich — zehn Kerkerjahre vor mir — auf meine alte Zelle im 3. Stock zurückkehren durfte. Es war die letzte Begegnung mit Scholz; am 10. Mai 1944 vollstreckte der Henker das Urteil an diesem „österreichischen Hochverräter“.

Mit diesem Streich endete ein 32jähriges Leben, das bis in seine letzten Phasen und Konsequenzen gelebt war. Diese Vitalität war das verbindende Moment in einem widerspruchsvollen, vielfach differenzierten Charakter. Es hat in diesen 32 Jahren keinen Leerlauf gegeben, es war kein Ereignis in der Welt, zu dem er nicht Stellung genommen hätte, es war kein Erlebnis, das spurlos an seiner Seele vorbeigegangen wäre. Aber vor allem ist es die Ästhetik, aus welcher der Mensch Scholz die stärksten Impulse empfängt. Eine Scheu vor Unrat und Schmutz in der Welt drückt allen seinen Werken den unverkennbaren Stempel auf. Scholz ist Feinschmecker unter den Ästheten: Gefühle, Stimmungen und immer wieder abstrakte Ideen, das sind die Motive seiner überreidien Lyrik. Hier setzt .dann das Eigenartige dieser Gestalt an: Die Idee an sich ist wohl abstrakt und kühl, doch sie ruht auf einem warmen, samtenen Kissen gleich einem Juwel im Schmuckkästchen. So kann man bei ihm nicht eigentlich von Gedankenlyrik sprechen. Es ist vielmehr eine gefühlsbetonte Hingabe an Ideen, als an die reinsten Emanationen des Menschlichen.

Auch Demokratie ist für Scholz ideelle Schönheit, die lauterste Lebensform menschlicher Gesellschaft. Ein so Fühlender konnte auf den Einbruch Hitler-Deutschlands 1938 nur mit Auflehnung antworten. Er unternimmt eine Reise nach England, von der er neben reichen literarischen Früchten die Zusicherung führender englischer Politiker mitbringt, den österreichischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu fördern. Die Widerstandskader der österreichischen Freiheitsbewegung (ö. F. B.) standen bereits vor dem deutschen Einmarsch, der sich zu Beginn 1938 deutlich abzeichnete, österreichische Idealisten, Studenten in der Mehrzahl, schlössen sich zu kleinsten Gruppen zusammen, die untereinander nur losen Kontakt hatten und leisteten Widerstand, jeder in seinem Bereiche, soweit es eben ging. Hier wurden Flugzettel gestreut, dort versucht, sich Waffen zu beschaffen, nur die versprochene Hilfe von jenseits der Grenzen blieb, trotz wiederholter. Fühlungnähme mit alliierten Auslandsstellen, aus. Alle diese Grüppchen hielt Scholz irgendwie zusammen. Auch hier wieder vital und energiegeladen, übersah er den Verräter unter seinen engsten Mitarbeitern. Im Juli 1940, nach fast zweijähriger gefahrvoller illegaler Arbeit, packt die Gestapo zu. Die erste große Verhaftungswelle geht über Wien, mehrere hundert Personen, die zu der ö. F. B. in Beziehung standen, wurden verhaftet und damit die Kader zerschlagen.

Erst im Gefängnis führte mich das gleiche Los näher an Scholz heran. Bis dahin wußte ich noch gar nicht, daß er Priester, Kloster-neuburger Chorherr war. Ich mußte viel über den Priester Scholz nachdenken. Er war eine Gestalt, wie ich sie im geistlichen Gewände noch nie erlebt hatte. Denn in dieseni Verhältnis zwischen Gott und Mensch verkörperte der Mensch Scholz die Aktivität. Blendender Kasuist und Dialektiker, repräsentierte er den Typ eines AdvoCatus dei von scharfer geistiger Profilierung. Vielleicht mag mancher empfunden haben, es träten bei Scholz die Franziskusgaben ein wenig hinter der klaren Geistigkeit des Aquinaten zurück. Sein früher Tod hat uns leider verwehrt zu erleben, wie die Güte seines Herzens die starre Hülle trotziger Einsamkeit durchbrochen hätte.

Erst die Stille des Kerkers brachte seine dichterische Kraft zur vollen Entfaltung. Hier wird jeder Gedanke Gedicht, aus den spärlichen Aussprachen mit seinen Freunden werden größere dichterische Entwürfe, an denen er im Geheimen arbeiten muß. So entstehen in knapper Folge „Die Konquistadoren“, ein Drama aus der Gedankenwelt des Spanien der großen Eroberungen, „Zu spät: Ein Spiel von Liebe und Tod in drei Akten“, dem er eine „Rechenschaft“ vorausschickt, in der wir das wunderbare Wort lesen „jede wahre Tragödie ist ein Gebet, ein Reden und Rechten des Geschöpfes mit dem Schöpfer“. Wie eine zarte dunkelblaue Blume blüht unter seinen Händen die Novelle „Goneril“ auf, ein hauchzarter Liebestraum zwischen englischen Gärten und Schlössern. In seinen letzten Gedichten nimmt er persönlich Stellung zu Gott und kommt ihm so nahe wie nie zuvor:

Du bist die Kraft, durch die ich alles trage — Du bist die Wahrheit die ich mutig sage. Du bist das Leben, das ich sühnend gebe. Du bist der Tod, aus dem ich ewig lebe.

Gedichte aus dem Gefängnis

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