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Kulinarisches

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Ein mit „gewohnter Delikatesse" gewähltes Programm, das „ein geistvoller Genießer gleichsam auf der Zunge auskostet", „lauter Gustostückerln, mit höchster Vollkommenheit und Eleganz serviert" — man meint, in Berichten über einen gastronomischen Kongreß oder über ein Menü von Sacher zu lesen. Aber es handelt sich um das erste Philharmonische Abonnementskonzert unter Clemens Krauß, und zwar im besonderen um die Suite zum „Bürger als Edelmann" von Richard Strauß, deren „Tafelmusik freilich zu solchen stilistisch-gastronomischen Exzessen verführen mag. Hier hat es der Komponist weder an Deutlichkeit noch an gutem Geschmack fehlen lassen. Hören wir den Kommentar dazu: „Wenn der Lakai also als ersten Gang ,ein Salmen vom Rhein nach Pfalzgrafeaart, hiezu ein weißer Burgunderwein’, ankündigt, rauscht im Orchester das wiegende Wellenmotiv aus dem Vorspiel zu Wagners ,Rheingold’ auf. Zur Hammelkeule ertönt das .köstlich nachgeahmte Blöken der Hammelherde aus ,Don Quichote’, lustiges Gezwitscher und Tirilieren der Vogelstimmen kündigt ein Gericht von Drosseln und Lerchen an, und ein schwungvoller Schnellwalzer stellt überzeugend die prickelnde Wirkung des ihm zuvor kredenzten süßen Portugieserweins dar.. . Also, wenn das keine geistvollen, echt künstlerischen Einfälle sind! Das Ganze aber heißt mit Recht „Ohrenschmaus". Soweit stimmen wir mit den Lobrednern des Meisters und mit dem Geschmack des philharmonischen Publikums überein. Es ist einfach unübertrefflich gustiös, wie er das macht! Den Stil des Molière, und allgemein den des 18. Jahrhunderts, trifft er freilich nicht so gut. Man höre zum Vergleich hintereinander das vielgepriesene, kitschige Violinsolo im „Auftritt und Tanz der Schneider“ neben dem Menuett des Cleonte, in dem Originalmelodien des Lully verwendet werden, und man wird den Unterschied zwischen echtem musikalischem Adel und — sagen wir ganz neutral — Niditadel spüren. Hier nützt nicht einmal die Flucht in einen fremden und strengen Stil, um die Banalität der eigenen melodischen Erfindnng zu neutralisieren.

Es waren „schönere Zeiten", als die Musik zum „Bürger als Edelmann" konzipiert wurde; mit solchen „Gustostückerln“ können unsere jungen Komponisten nicht mehr aufwarten. Einer von ihnen, Jahrgang 1920, hat es so formuliert: Um „schöne“ Musik zu schreiben, genüge der gute Wille des Komponisten nicht mehr. „In reiner Lust mag der Künstler for-. men — und das Grauen tritt dabei zutage. Und umgekehrt war früher ein Künstler bemüht, die Schrecken nächtlicher Gefühle eindringlich zu schildern, und was er schuf, war ein Mittel, Nacht und Tod als belebende Schauer zu genießen." Wer dächte da nicht an den Salome-Walzer und an die süßen Kanti- lenen der Chrysotemis in der „Elektra". Zu diesem Thema gibt es auch ein sehr aufschlußreiches Selbstzeugnis von Ernst Krenek, und zwar über seine zweite Symphonie, die 1923 uraufgeführt wurde. Die letzte Steigerung im Adagiosatze rufe ihm immer wieder den Eindruck hervor, daß, „wenn diese Anhäufung von Klangmassen nur noch ein wenig länger fortginge, der Saal einstürzen oder sonst eine Katastrophe von unabsehbaren Ausmaßen ein- treten würde". Es ist eine Stelle, die Schmerz mit einer Intensität ausdrückt, die er später nie mehr erreicht hat. Und nun das Merkwürdige. Krenek schreibt darüber 25 Jahre später: „Ich bin sicher, daß ich von all dem nichts wußte, als ich das Stück schrieb. Ich war völlig in Anspruch genommen von der technischen Seite meines Unternehmens, und diese stellte sich dar als das praktische Problem, ein sehr langes Werk von monumentalem Charakter zu schaffen." Dies ist gewissermaßen der Gegenpol zur „kulinarischen Kunst. Woraus man unter anderem auch ersehen mag, daß sich die Zeiten geändert haben.

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