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LEBENSABEND IN WIEN

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Zur Zeit der Jahrhundertwende besuchte Kaiser Franz Joseph einmal eine Ausstellung der Sezession. An die Spitze dieser evolutionären Kunstbewegung aber war' der unverwüstliche Malerpatriarch Rudolf von Alt getreten. Auf eine Bemerkung des Kaisers, daß es ihn wundere, den fast Neunzigjährigen an der Spitze der Jungen zu sehen, antwortete dieser: „Majestät, ich bin zwar wirklich schon alt, fühle mich aber noch immer jung genug, um wieder von vorn anzufangen.“ Wo immer Rudolf von Alt einen Kerl witterte, war er dabei.

Nun standen sich die zwei Alten gegenüber: der Künstler, der im Jahr nach der Geburt des Monarchen seinen ersten Stephansdom gemalt hatte, und der Kaiser. Um wieviel glücklicher war doch das Leben Rudolf von Alts im Vergleich zu dem Kaiser Franz Josephs. „Dieser war“ — wie Alexander Witeschnik schreibt — „kein Heldenkaiser. Auf den Schlachtfeldern hatte er immer Unglück gehabt. Er war kein jovialer Fürst wie sein Großvater Franz I. Eher eine starre, unnahbare Majestät. Trotzdem wurde er einer der populärsten Herrscher von Wien. Seine Noblesse, vor allem aber sein persönliches Unglück haben ihm eine Liebe und Ehrfurcht eingebracht, die durch keine glänzende Tat gerechtfertigt war. Die Wiener haben selbst nach einem Grund für diese ihre liebende Scheu gesucht und haben dem fernen, kühlen und schweigsamen Monarchen ein Maß an Güte zugeschrieben das er vielleicht nie besaß. In erster Linie galt ihre Zuneigung jenem Herrscher, dessen Bruder in Mexiko ums Leben gekommen, dessen einziger Sohn durch Selbstmord geendet, dessen Frau einem sinnlosen Attentat zum Opfer gefallen war. Galt jenem Herrscher, der einmal vor der Deputation einer Stadt leise lächelnd erklärt hatte: ,Ja, meine Herrschaften, ich hab' halt eine unglückliche Hand.' Dieses Bekenntnis hat ihm das Herz der Stadt gewonnen, die seine Sorgen nicht teilte, wie er nicht ihren Glanz.“

Rudolf von Alt nähert sich den Neunzig. — Nun sitzt der Greis nicht mehr an allen Ecken und Enden der Stadt, sondem in seinem Arbeitszimmer im zweiten Stock des Hauses Skodagasse Nr. 11, jener Gasse, die innerhalb der 64 Jahre, die Alt dort verlebte, nicht weniger als dreimal ihren Namen gewechselt hat Aus der ursprünglichen Kaserngasse wurde sie zur Reiter- und schließlich zur Skodagasse. Fast neun Jahrzehnte lang waren die Straßen und Plätze Wiens und Österreichs Landschaft das luftige Atelier Rudolf von Alts. Nun lebte er, ans Haus gefesselt, nur noch so weit, als seine Augen reichten; doch in diesem, durch sein hohes Alter eingeschränkten Bereich vielleicht noch inniger, menschlich und künstlerisch vertiefter. War die Hand des Patriarchen auch zittrig geworden, so daß er seine Blätter kaum noch signieren konnte, zu malen verstand sie noch immer! Und zwar auf eine ganz neue und expressive, nur so hingetupfte Art.

Der Ausspruch des Kunstkritikers Vincenti „Ganz besonders beim bildenden Künstler erlaubt das Schaffensheim einen Rückschluß auf seine Eigenart“ wurde nicht nur durch das Atelier Hans Makarts, sondern auch durch die altväterliehe Malstube Rudolf von Alts vollauf bestätigt. — Dieser fromme Diener und Anbeter der Natur hatte sich ein Stück von ihr mit nach Hause genommen. Der einfache, mit einem schwarzen Wachstuch überzogene Arbeitstisch stand an einem breiten Fenster, dessen Brett stets mit bunten Blumen geziert war. Über dem Reißbrett am Tisch hingen die gefingerten Blätter eines Philodendron. In einem vom Musiker Herbeck ererbten Vogelbauer hausten inmitten immergrüner Tannenzweige ein halbes Dutzend Singvögel. Ihr fröhliches Gezwitscher mag Rudolf von Alt an die Zeiten erinnert haben, da er vom Kannerschen Leinwandgesehäfft aus, das sich im ersten Stock des dem Riesentor von St. Stephan gegenüberliegenden Haus befunden hatte, immer wieder den alten Steffel porträtierte und dabei dem munteren Gezwitscher der jungen Weißnäherinnen lauschte. Aus drei Wanduhren schlug, wie im Wienerwald, immer wieder der Kuckuck. Vom Fenster seines Arbeitszimmers aus hielt nun der mehr als 90 Jahre alte Wiener Canaletto seine stillen Dialoge mit der Natur und mit Wien. Zwei wahre Wunderwerke waren das Resultat dieser Aussprache: der berühmte „Blick aus dem Fenster des Künstlers in die Skodagasse“ und ein anderer auf die an der Stelle des einstigen Stadttheaters gelegene „Eisengießerei Kitschelt“. Ein Beweis dafür, daß echter Genius immer jung bleibt...

Rudolf von Alt war zweifelsohne einer der großen Männer des 19. Jahrhunderts. Seine Bedeutung hatte etwas Lokales, gleich der seines großen Freundes, des „alten Steffels“. Er fühlte sich zeitlebens ganz eins mit der Wienerstadt, deren Schicksal er fast ein Jahrhundertlang geteilt hat. „Das schönste Wien“ — so meinte er einmal — „war doch das Wien mit 400.000 Einwohnern, das Wien der fünziger Jahre, knapp vor der Stadterweiterung. Das .Griechengassl' ist ja viel schöner als der .Kärntnerring', wo eins beim Malen einschlafen könnt!“

(Aus dem soeben im Verlag Herold erschienenen Buch „fast hundert “Jahre Wien“. Rudolf von Alt, iSll bis 190;.)

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