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Das Landschaftsbild

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Das Antlitz der Landschaft ist nicht von innen her, aus einer Seele heraus, geformt. Wohl ist es durch Gottes Willen erschaffen worden und sein Atem erhält es am Leben. Sein Ausdruck bleibt nicht der gleiche, er wird in stetem Wechsel neu gestaltet durch das Licht und durch die Jahreszeiten, ist demnach von wirkenden Kräften bestimmt, die dem Menschen entrückt' sind. Es empfängt also das Licht nicht von innen, es spiegelt daher auch keinen seelischen Vorgang wieder, nicht tiefes Leid oder jauchzende Verzückung. Wenn wir vom „Antlitz“ der Landschaft sprechen, ist das allein schon eine Vermensch-lichung, die sich nur die poetische Hochstimmung erlauben darf. In diesen Metaphernbereich gehört auch die „beseelte Natur“. Das rührt wohl daher, daß wir, indem, wir sie schauen, glauben, eher an den Begriff „Ewigkeit“ herankommen zu können als sonst, gleichermaßen erschauernd, ob wir vor der grandiosen Pracht gleißender Gletscher stehen oder vor der unendlichen Weite einer Pußta, über der sich ein glitzernder Sternenhimmel wölbt.

Es gibt gewiß wenig Menschen, die nicht zumindest einmal in ihrem Leben beim Anschauen einer Landschaft „in sie versunken“ gewesen wären. Diesem Augen-Blick — verweile doch* du bist so schön! — zur Dauer zu verhelfen, ist sicher mehr als eines Dankbaren Wunsch gewesen. Wie sollte nun das doppelt und dreifach empfängliche Auge eines Malers niemals von dem machtvollen Eindruck überwältigt worden sein und ihn zu

Herz und Hirn weitergeleitet haben, indem es ihn Zugleich zum leidenschaftlichen Begehren formte, das Gesehene festzuhalten! Und wenn er, der dazu Befähigte, Wunsch und Willen zur Tat werden läßt, wird er auch unserem heißen Verlangen gerecht, er tut das für uns, was wir nicht können. Ihm gelingt es, daß wir dunkle Wälder und lichte Wiesen, verblauende Bergzüge und weiße Gutwetterwolken in unsere dumpfe Stube bekommen.

Das Porträt kann erregend, das Landschaftsbild wird zumeist beruhigend, besänftigend auf uns wirken. Wir entfernen uns zwar immer mehr von der Natur — in diesen Plural sind Berglandbauern nicht einbezogen —, wir kommen zu ihr nur mehr auf ungewöhnlichen Umwegen — in Stifters Hochwald mit dem Motorroller — und auf keine längere Zeit mehr als auf ein Wochenend. Aber bei der Betrachtung eines Landschaftsbildes fühlen wir uns dennoch einmütig als zu ihr gehörig. Da ist sie doch noch die Mutter, in deren Schoß wir uns geborgen fühlen, auch wenn sie sich fcuweilert bei Sturmfluten und Lawinenstürzen jeglicher mütterlicher Regungen entäußert und einem antikisch-wuchtenden Schicksal gleicht. Wir sind noch verflochten mit ihr, wenngleich lange nicht so innig wie unsere Vorfahren es waren, die so weit gingen, ihre eigenen Ge* fühle unbekümmert in die Landschaft za tragen und sie aus ihr wieder herauslesen wollten, wobei ihnen die Maler in voller Bereitschaft entgegenkamen, indem sie ideal, heroisch, idyllisch oder romantisch taten.

Merkwürdig spät, erst vor einigen Jahrhunderten, wird die Landschaft an sich in den Kreis malerischer Darstellung einbezogen. Diese macht dann, von den kühnen Anfängen eines Altdorfer an, alle Wandlungen mit wie die verwandten Künste. Versuche und ringende Bemühungen um Naturtreue finden sich neben farbfrischem, lebhaftem Impressionismus, ja, sie münden schließlich im Goghschen Expressionismus. Wir wollen an der ehrenden Tatsache nicht vorübergehen, daß das Landschaftsbild unserer Tage zu den schönsten künstlerischen Aeußerungen gezählt werden darf, wobei es jedem unbenommen bleibt, sich lieber in der wundersamen, glück-atmenden Welt Hans Thomas oder Wald* müllers, in den traumhaften Gegenden Gau-guins oder sonstwo zu ergehen.

Dem gemalten Landschaftsbild gehört vor allem unser Herz, dem Medium Farbe erliegen wir allzu gerne. Ich will diese kurze, keinen Anspruch erhebende „Zusammen-“ schau“ aber doch nicht beenden, ohne der gezeichneten Landschaft wenigstens mit einem Wort gebührend zu gedenken. Denn die Zeichnung ist es, welche deutlicher als alles andere die Struktur, den „Charakter“ der Landschaft und damit das Stehende, das Unabänderliche wiedergibt. Hier wird der Zwang, den die Topographie ausübt, zur künstlerischen Potenz. Die Zeichnung kann schön sein, obwohl sie genau ist. Und dann ist auch sie es wert, daß man „in sie versunken“ ist.

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