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Lob der Vorsaison in Tirol

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Muß man wirklich immer nur im Hochsommer in die Tiroler Berge fahren? Im Gebirge, wo die Jahreszeiten das Land schrittweise erobern, indem sie langsam vom Tal in die Almregion aufsteigen, hat auch der Frühsommer stark ausgeprägte Reize. Unten im flachen Land mag die Baumblüte schon vorbei sein. Ein Stückchen höher nur, im Mittelgebirge, ist alles noch eitel Vorfreude, beglük-kende Erwartung. Eines Tages, wenn auch auf dieser Stufe der Blütenrausch vorbei ist, ziehen die Kirschbäume hoch oben bei den einsamen Höfen der Bergbauern ihr Brautkleid an. Sie prangen vor dem flimmernden Firn der Berge unter einem Himmel, der sich wie blaue Seide über das Land spannt. Wie schön, daß der Mai im Gebirge nicht nur wenige Tage dauert! Er nimmt erst wieder Abschied, wenn sein Atem auch die höchsten Regionen belebt hat. Man braucht also nicht pünktlich zu sein, um rechtzeitig zu kommen. Die Maienzeit dauert in Tirol länger als anderswo. Dies erleichtert die Planung einer Reise, bei der der Mai gleichsam eine Hauptrolle spielen soll.

Im Hochsommer sind die Wiesen gemäht. Das Heu ist unter Dach. Aber im Mai und Juni leuchtet das Land in allen Farben, Lichtnelken flammen, Glockenblumen schwingen im Hauch des Windes, das zarte Wiesenschaumkraut schäumt „ungebremst“ in hellster Daseinsfreude. Eine Bergwiese vor dem ersten Schritt ist so herrlich bunt, daß es sich lohnt, ihretwegen den Urlaub um ein paar Wochen früher als sonst, also schon Ende Mai

— Anfang Juni zu beginnen. Wer kräftiges, herbes Parfüm liebt, stellt sich Mitte Juni zur Heuernte ein. Uberall, wo das Land bebaut wird, stehen dann die Regimenter der gutmütigen Heumandln in lockerer Ordnung vor den Dörfern. Welche Motive für die Kamera!

Das Wandern im Frühsommer über besonnte Terrassen hinweg, durch die von Vogelstimmen durchtönten Wälder bis hinauf in die höheren Regionen, wo die botanischen Raritäten glühen und blühen, erhellt das Gemüt bis ins Innerste. Hinter jeder Krümmung des Weges lockt eine neue Welt. Und keiner ist da, der nachdrängt, der vorfahren oder schneller am Ziel sein will. Wie erholsam, Tourist zu sein, wenn die anderen Touristen noch nicht aufgebrochen sind!

Die Tage wachsen im Frühsommer. Sie verdämmern von Woche zu Woche später. Es ist herrlich warm, doch das Thermometer zeigt noch keine Maxima an. Der große Troß mit den zehntausenden Pferdekräften ist noch nicht aufgebrochen. Eine geruhsame Zeit: Vorsaison. Geruhsam bis in die verträumte Ecke unter dem bunten Gartenschirm, wo die Wirtin höchstpersönlich mit frischem Lächeln erscheint, um individuelle Wünsche zur Kenntnis zu nehmen und auch zu erfüllen. Die Zeit reicht viel weiter, weil keiner da ist, der Dir an Schaltern, Tankstellen, Wartepunkten, in den Stationen der Seilbahnen, in Gaststätten und Geschäften ein Stück davon abstiehlt, das unwiederbringlich verloren ist.

Man kann sie wirklich ausnützen und auskosten bis zur Neige, diese Ferienzeit vor dem großen Ansturm. Sie wird erfüllt sein vom Bemühen der anderen, sich um Deine Persönlichkeit zu kümmern, als wärest Du der einzige Gast im Hause, der Einzige, der Briefmarken, Auskünfte, Beratung oder ein zwangloses Gespräch mit seiner Umgebung wünscht. Du wirst natürlich nicht allein sein In Tirol, wenn der Frühsommer über Berg und Tal zieht. Aber Du wirst leichter einen Campingplatz finden, wirst — obwohl unangemeldet — bequem ein passendes Quartier aussuchen können und wirst, was auch nicht zu verachten ist, für alles Gebotene weniger bezahlen als sonst. Daher auch ein Lob den Vorsaisonpreisen. Das sind also zwei Vorteile auf einmal. Dazu kommt noch der dritte Vorteil: das Nachbild, das Tirol nach einem solchen vorverlegten Urlaub in Deiner Erinnerung wachruft, wenn Du zurückdenkst, wird durch keinen Schatten getrübt sein. Das ist ein Lohn, der allen zuteil wird, die mit kluger Überlegung die Gaben des Frühsommers eingeheimst haben. Eine Ernte ohne Risiko. Darum: Komm diesmal etwas früher!

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